Informationen und praktische Tipps
Auf dieser Seite
- Frühe Eltern-Kind-Bindung – wie gehe ich feinfühlig mit meinem Kind um?
- Wie viel Grenzen braucht mein Kind?
- Anstrengende Trotzphase
- Was hilft, wenn ich mit meiner Geduld am Ende bin?
- Hilfe, mein Kind schreit!
- Mutter und Vater – zwei Menschen, zwei Meinungen
- Wie schütze ich mein Kind vor sexueller Gewalt?
- Wie kann ich das Selbstwertgefühl meines Kindes stärken?
- Wie kann ich meinem Kind helfen, Konflikte zu lösen?
- Mobbing – Wenn Schule oder Kindergarten zur Hölle wird
- Emotions-Coaching – wie kann ich meinem Kind helfen, mit seinen Gefühlen umzugehen?
Frühe Eltern-Kind-Bindung – wie gehe ich feinfühlig mit meinem Kind um?
Die einzigartige Bindung zwischen dem Baby und seinen Eltern gehört zu den wichtigsten Beziehungen im Leben. Wie können Eltern unterstützend auf ihr Baby einwirken, damit es sicher gebunden ist?
1. Eltern erzählen
"Unsere Tochter Lisa ist 12 Monate alt. Eigentlich habe ich sie den ganzen Tag bei mir. Meistens spielt sie bei uns im Wohnzimmer. Doch wenn ich das Zimmer verlasse, um z.B. in die Küche zu gehen, fängt sie sofort an zu weinen. Wenn ich wieder komme, beruhigt sie sich, Gott sei Dank, recht schnell, freut sich, mich zu sehen und spielt wieder weiter. Ist das normal, dass sie immer weint, wenn ich gehe? Die Tochter meiner Freundin ist da ganz anders. Wenn die Mama mal nicht da ist, spielt sie ruhig alleine weiter."
Heidi K. (26 J.)
"Unser Vincent (acht Monate) ist eigentlich ein fröhliches und offenes Baby. Er hat sich auch immer ganz brav von allen herumtragen lassen und hat keine Angst vor Fremden gezeigt. Und wir waren so richtig stolz auf sein offenes und fröhliches Wesen! Doch seit Kurzem wirkt er ganz verändert. Er weint und ist ängstlich, wenn sich ihm Fremde nähern. Er wirkt wie ausgewechselt. Wir wissen nicht, wie wir uns verhalten sollen."
Joshua B. (38 J.)
2. Was bedeutet Bindung?
Wenn Eltern über den Begriff Bindung (englisch: attachment) nachdenken, fallen ihnen spontan Begriffe wie Beziehung, Liebe, Fürsorge und Nähe ein. Es wird schnell deutlich, dass man nur an wenige Menschen in seinem Leben wirklich gebunden ist. Die einzigartige Beziehung zwischen dem Baby und seinen Eltern gehört zu diesen wenigen und nimmt gleichzeitig eine Sonderstellung unter ihnen ein. Doch was bedeutet Bindung?
Bindung entsteht in der alltäglichen Begegnung von Eltern und Baby. Ein feinfühlig aufeinander abgestimmter Austausch etwa beim Füttern, Wickeln, Spielen, erhöht das gegenseitige Vertrauen und führt dazu, dass sich das Baby und die Eltern besser kennen lernen und das Baby sich bei seinen Eltern vertraut und sicher fühlen kann. Bindung könnte man also mit einem sicheren, und gefühlvollen Band zwischen Elternteil und Kind vergleichen, dass diese über Raum und Zeit unsichtbar miteinander verbindet.
Die Entwicklung der Bindung zwischen Eltern und Kind beginnt bereits in der vorgeburtlichen Zeit und wird entscheidend durch Erfahrungen während der Schwangerschaft und der Geburt sowie während der ersten Lebensmonate beeinflusst. Obwohl jedes Baby zwangsläufig eine Bindung zu seinen Eltern entwickelt, unterscheiden sich die Qualitäten der Bindung. Aus der Qualität der Bindung des Babys an seine Eltern lässt es sich ziemlich genau ableiten, wie sich das Baby als Erwachsener im Umgang mit anderen Menschen und mit Problemen verhalten wird. Ein Kind, das seinen Elternteil als feinfühlig und unterstützend erfährt, wird vermutlich auch sich selbst als liebenswert und kompetent erleben.
Demnach sind sicher gebundene Babys, die eine sichere Qualität an Bindung aufweisen, im Jugendalter eher in der Lage, beispielsweise ihre aggressiven Impulse zu kontrollieren. Im Gegensatz zu unsicher gebundenen Kindern, zeigen sie häufiger ein hohes Selbstwertgefühl und großes Selbstvertrauen, sind sozial kompetent und verfügen über einen besseren Umgang mit Problemen in schwierigen Situationen. Vernachlässigte Kinder hingegen entwickeln eine negative innere Vorstellung von sich selbst als wenig liebenswert und wenig akzeptiert und können sich schlechter vertrauensvoll auf Beziehungen einlassen.
Nach dem ersten Lebensjahr kann man eins von vier verschiedenen Bindungsstilen beim Baby beobachten. Eine Bindung entsteht durch die Interaktion des Babys mit dem Elternteil. Die Bindungstheorie unterscheidet folgende drei Stile: Den sicheren, den unsicher-vermeidenden, den unsicher- ambivalenten und den desorganisierten/ desorientierten Bindungsstil.
Sichere Bindung
Sicher gebundene Babys weinen, wenn ihre Mama sie alleine lässt. Weinen ist dann ein Ausdruck ihrer Angst, die sie im Augenblick der Trennung erleben. Da sie nicht wissen können, ob ihre Mama zurückkommt, fühlen sie sich allein, hilflos, ohnmächtig und bekommen noch mehr Angst.
Sicher gebundene Babys rufen ihre Mutter, folgen ihr nach und suchen unmittelbar die Nähe zu ihr, sobald sie Angst bekommen. Sie können ihre Bindungsbedürfnisse sehr deutlich zeigen und entwickeln aufgrund von elterlicher Feinfühligkeit in ihrem Innern ein großes Vertrauen darauf, dass ihre Mutter wiederkommt und sie trösten wird, etwa indem sie sie auf den Arm nehmen wird. Für sicher gebundene Kinder erfüllt die Mutter die Rolle eines "sicheren Hafens", der immer Schutz bieten wird und zu dem man zurückkehren kann, wenn man Angst hat.
Unsicher-vermeidende Bindung
Unsicher-vermeidend gebundene Babys scheinen eine kurze Trennung von ihrer Mama nicht zu bemerken. Sie zeigen bei ihrer Rückkehr wenige Emotionen. Sie vermeiden Nähe und Kontakt, drehen z.B. den Körper weg und wenden ihrer Mama den Rücken zu. Sie beschäftigen sich vielmehr mit ihrem Spiel. Diese Kinder haben gelernt, ihre Gefühle nicht zu zeigen, da ihre Mama dies wahrscheinlich nicht mag. Diese Mütter verhalten sich ihrem Kind gegenüber wenig feinfühlig.
Unsicher-ambivalente Bindung
Diese Babys reagieren über, wenn ihre Mama das Zimmer verlässt. Sie schreien, weinen und klammern sich an ihr fest. Sie haben gelernt ihre Angst in dramatischer Form zu zeigen. Wenn ihre Mutter wieder zurückkommt sind die Kinder nur schwer zu beruhigen und zeigen zusätzlich gegen die Mutter gerichtete ärgerlich-aggressive Verhaltensweisen. Sie befinden sich nach der Trennung im Konflikt zwischen Nähebedürfnis und Aggression.
Desorganisierte/desorientierte Bindung
Diese Babys zeigen bei der Rückkehr ihrer Mama auffällige Verhaltensweisen, wie Erstarren im Verhalten, stereotype motorische Bewegungen, oder widersprüchliche Verhaltensweisen, wie etwa indem sie zur Mutter freudig nach deren Rückkehr hinlaufen, aber auf halbem Wege stehen bleiben, sich umdrehen und sich auf den Boden werfen und toben.
Besonders ausgeprägt ist dieses Bindungsmuster bei Kindern mit Missbrauchserfahrungen und bei besonders wenig feinfühligen Müttern. Wie sich eine Bindung gestaltet, ob das Baby sicher oder unsicher an die Eltern gebunden ist, bestimmen Eltern weitgehend mit. Doch wie können Eltern unterstützend auf ihr Baby einwirken, damit es sicher gebunden ist?
3. Erziehungsalltag
Wenn Eltern auf die vom Baby geäußerten Signale und Bedürfnisse eingehen, nennt man ihr Verhalten feinfühlig. Feinfühliges Elternverhalten bedeutet, das Baby gut zu beobachten, seine Bedürfnisse zu erkennen und entsprechend auf sie zu reagieren. Das elterliche Verhalten gilt dann als feinfühlig, wenn Eltern die kindlichen Signale wahrnehmen, sie richtig interpretieren und auf diese sofort und angemessen reagieren. So bekommt das Baby das Gefühl, dass Eltern es liebevoll und zuverlässig versorgen und ihm genau das geben können, was es gerade braucht.
Normalerweise verfügen Eltern über ein intuitives Verhaltensrepertoire, auf das sie zurückgreifen können, um ihr Kind in seiner Entwicklung zu unterstützen. Meistens erkennen sie intuitiv die Bedürfnisse ihres Babys und reagieren entsprechend feinfühlig darauf. Das Kind antwortet mit Wohlbefinden, später mit Lächeln und mit Blickkontakt, was bei den Eltern wiederum Zufriedenheit auslöst und sie zu positiven Signalen, wie Lächeln, Sprechen und Zärtlichkeit bewegt. Wenn das Baby unzufrieden ist, quengelt oder schreit, versuchen Eltern, das dahinter stehende Bedürfnis herauszufinden. Wenn das Bedürfnis gestillt ist, sendet das Baby meistens wieder positive Signale aus. Bindung entsteht jedoch bei diesem Austausch nicht nur, weil Eltern Bedürfnisse ihres Kindes erfüllen. Bindung entsteht, weil Eltern in einen feinfühligen Kontakt zu ihrem Baby treten. Sie unterhalten sich mit ihrem Baby und das Baby antwortet, obwohl es noch nicht sprechen kann. Es sind die Gesten, Blicke und Berührungen, mit Hilfe derer sich sowohl Eltern als auch Kinder verständigen und mitteilen. Je besser es gelingt, sich feinfühlig aufeinander abzustimmen, desto wahrscheinlicher ist der Aufbau einer sicheren Bindung.
Trotzdem kann es Eltern helfen, zu wissen, welches Verhalten bei ihrem Baby ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit auslöst und ihm so eine positive Entwicklung ermöglicht. Was Sie tun können, um Ihrem Baby Geborgenheit zu vermitteln, erfahren Sie im nächsten Kapitel.
4. Neue Wege gehen
Kinder verstehen lernen
Beispiel 1 im ersten Teil
Seien Sie ein sicherer Hafen für ihr Baby!
Wenn sicher gebundene Babys - wie in unserem Beispiel Lisa - weinen, dann ist dies ein Ausdruck ihrer Angst, die sie im Augenblick der Trennung erleben. Da sie nicht wissen können, ob ihre Mama zurückkommt, fühlen sie sich allein, hilflos, ohnmächtig und bekommen noch mehr Angst. Sicher gebundene Babys rufen ihre Mutter, folgen ihr nach und suchen unmittelbar die Nähe zu ihr, sobald sie Angst bekommen. Sie können ihre Bindungsbedürfnisse sehr deutlich zeigen und entwickeln aufgrund von elterlicher Feinfühligkeit in ihrem Innern ein großes Vertrauen darauf, dass ihre Mutter wiederkommt und sie trösten wird, etwa indem sie sie auf den Arm nehmen wird. Für sicher gebundene Kinder erfüllt die Mutter die Rolle eines "sicheren Hafens", der immer Schutz bieten wird und zu dem man zurückkehren kann, wenn man Angst hat. Als Heidi zurückkommt sucht Lisa sofort die Nähe ihrer Mutter. Sie freut sich, dass ihrer Mama wieder da ist. Nachdem sie von ihrer Mutter getröstet wurde, kann sie sich von ihr lösen und weiterspielen. Unsicher gebundene Babys verhalten sich in solchen Situationen anders.
Es gibt drei Varianten:
- Sie vermeiden bei der Rückkehr der Mutter Nähe und Kontakt zu ihr und wenden sich ganz dem Spiel zu.
- Sie reagieren so über, dass sie nach der Rückkehr der Mutter über längere Zeit nur schwer zu beruhigen sind.
- Sie zeigen bei der Rückkehr auffällige Verhaltensweisen, wie Erstarren im Verhalten, stereotype motorische Bewegungen, oder widersprüchliche Verhaltensweisen, wie etwa indem sie zur Mutter freudig nach deren Rückkehr hinlaufen, aber auf halbem Wege stehen bleiben, sich umdrehen und sich auf den Boden werfen und toben.
Wenn Sie merken, dass das Verhalten Ihres Babys zu einer der drei Varianten neigt, sollten Sie unbedingt lernen mit Ihrem Baby feinfühlig umzugehen. Wie Sie das tun können, erfahren Sie in den Lösungsvorschlägen.
Sich selbst beobachten
Beispiel 2 im ersten Teil
Fremdeln als Ausdruck für die Festigung der Bindung.
Ein Ausdruck der sich entwickelnden Bindung ist das so genannte Fremdeln, das bei fast allen Babys um den achten Lebensmonat auftritt. Vincents Vater, Joshua, braucht dadurch nicht verunsichert zu sein. Das Fremdeln ist ein wichtiger neuer Schritt in der Entwicklung seines Sohnes und Ausdruck für die Festigung der Bindung Vincents an Joshua. Ab dem achten Lebensmonat wird die Sinneswahrnehmung des Babys differenzierter. Das Kind ist von nun an fähig, zwischen Vertrautem und Fremdem zu unterscheiden. Verliert es den Vater aus dem Blickfeld, fehlt ihm die Gewissheit, dass sein Vater immer noch in der Nähe ist. Vincent wechselt vom blinden Vertrauen zu einem gesunden Misstrauen gegenüber Neuem. Vincent bleibt stets in der Nähe von vertrauten Menschen. Dieser natürliche Schutzmechanismus bewahrt den gerade mobil werdenden Vincent vor Situationen, denen er alleine nicht gewachsen wäre.
Schenken Sie Ihrem Kind Geborgenheit!
Joshua sollte versuchen, die Veränderung seines Sohnes als gesund und seinem Entwicklungsstand angemessen zu betrachten. Er könnte noch mehr auf die Bedürfnisse seines Sohnes eingehen und einfühlsamer sein. So kann das Vertrauen zwischen den beiden mehr wachsen. Durch die Erfahrung von Geborgenheit und Sicherheit wird Vincent bald innerlich erfassen, dass sein Vater auch noch dann für ihn da ist, wenn er nicht ihn, sondern einen Fremden sieht.
5. Lösungsvorschläge
Die Erforschung der Entwicklung der Eltern-Kind Beziehungen hat gezeigt, dass das elterliche Einfühlungsvermögen in das Baby einen zentralen Einfluss auf den weiteren Verlauf der Beziehungsentwicklung hat. Positive Gefühle der Eltern gegenüber ihrem Kind tragen wesentlich zur Entstehung einer sicheren Bindung bei. Meistens erkennen Eltern die Gefühle ihres Babys intuitiv und können feinfühlig auf seine Grundbedürfnisse reagieren. Doch wie können Eltern sich ihrem Kind gegenüber noch feinfühliger verhalten?
Seien Sie möglichst aufmerksam
Grundsätzlich sollten sich Eltern immer mit all ihrer Aufmerksamkeit ihrem Baby widmen, damit sie seine Bedürfnisäußerungen wahrnehmen können. Praktisch heißt das, dass sie sich in allen Situationen, in denen sie dem Baby nah sind, wie beispielsweise dem Stillen, auch gedanklich, emotional und im Verhalten auf das Kind konzentrieren sollten, um auch schwächere Signale des Säuglings empfangen zu können. Dies geht am besten, wenn die Mutter mit dem Baby Blickkontakt hält.
Versuchen Sie, die Äußerungen des Babys richtig zu deuten
Erst mit der Zeit lernen Eltern zu unterscheiden, ob das Baby wegen Hunger, vor Schmerzen oder aus Langeweile weint. Dabei sind sie zunächst auf die Phase des Ausprobierens angewiesen. Hilfreich dabei ist, sich in die Situation des Kindes hineinzufühlen. Überlegungen wie: "Jetzt habe ich mit dem Baby schon lange gespielt. Weint es, weil es nun Hunger hat, oder ist es jetzt müde?", helfen Ihnen dabei.
Reagieren Sie den kindlichen Bedürfnissen entsprechend
Wenn Eltern ein kindliches Bedürfnis wahrnehmen, sollten Sie adäquat darauf reagieren. D.h. sie sollten mit dem Baby spielen, wenn es sich langweilt und das Baby füttern, wenn es Hunger hat. Ein Baby nach einem Zeitplan zu füttern, entspricht nicht seinen Bedürfnissen. Ebenso wenig mit dem Baby zu spielen, wenn es Hunger hat.
Reagieren Sie unmittelbar auf die Bedürfnisäußerung des Babys
Eltern sollten sofort auf die Bedürfnisäußerung ihres Kindes reagieren. Das Baby kann nämlich in den ersten Lebensmonaten nicht warten. Den gegenwärtigen Zustand der "Nichterfüllung eines Bedürfnisses" nimmt es als unveränderlich und ewig wahr. Da sich jedoch alle seine Bedürfnisse lebensnotwendig anfühlen, verzweifelt es, wenn keine prompte Reaktion von der Bezugsperson kommt. Das Baby muss erst noch lernen, dass ein Bezug zwischen seinem Verhalten und der Antwort der Eltern besteht. Nur durch schnelles Reagieren kann man dem Baby das Gefühl vermitteln, dass es durch sein Verhalten in der Umgebung etwas bewirken kann.
Holen Sie sich Hilfe
Wenn Sie professionelle Unterstützung bei dem Umgang mit Ihrem Baby brauchen, empfehlen wir Ihnen einen SAFE® Kurs zu besuchen. SAFE® wurde von dem Münchner Bindungsforscher und Privatdozent Dr. med. Karl Heinz Brisch entwickelt. In insgesamt 10 ganztägigen Seminaren von Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des 1. Lebensjahres des Babys erhalten Eltern von Experten der Universitätskinderklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital in München Informationen über die kindliche Entwicklung, ein Video-Feinfühligkeitstraining zur Stärkung der elterlichen Kompetenzen und die Möglichkeit, sich über eine Hotline jederzeit fachliche Hilfe holen zu können.
Es bietet Eltern auch die Möglichkeit, bei eigenen traumatischen Kindheitserfahrungen psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen und somit den Teufelskreis einer Weitergabe von erlebten Traumatisierungen an ihr Kind in Form von Misshandlung, Missbrauch und Vernachlässigung zu durchbrechen.
Wie viel Grenzen braucht mein Kind?
Seine Kinder zu verantwortlichen und selbstbewussten Menschen zu erziehen ist der Wunsch aller Eltern. Dafür sind klare Regeln nötig. Doch wie können Eltern ihren Kindern sinnvolle Grenzen setzen?
1. Eltern erzählen
Montagmorgen 7.15 Uhr, schon wieder gibt es Ärger. Florian hat erneut vergessen, seine Pausenbrotbox aus dem Schulranzen zu räumen und in die Spüle zu stellen. Schon x-mal habe ich ihm angedroht, ihm kein Pausenbrot mitzugeben, doch jedes Mal denke ich: "Das kannst du nicht machen, der braucht doch was zu essen". Aber als ich an diesem Montagmorgen die Box öffne und mir schimmelige Brotreste entgegen blicken, bin ich mit meiner Geduld am Ende. Mit einem wütenden "Dann musst du heute auf dein Pausenbrot verzichten" schicke ich meinen Sohn in die Schule. Als er nach Hause kommt, erzählt Florian mir, dass er sich von seinem Taschengeld eine Brotzeit gekauft habe und beschwert sich, dass nun schon die Hälfte seines Geldes weg sei. Das hat gewirkt, denke ich sofort. Gleichzeitig frage ich mich: „Warum habe ich meine Drohung nicht schon viel früher wahr gemacht?“
Julia E., 37 Jahre
Theresa kommt nach dem abendlichen Zähneputzen zu mir ins Wohnzimmer, sieht die Kekse, mit denen ich vor dem Fernseher sitze und möchte unbedingt auch noch einen. Natürlich lehne ich das sofort klar und deutlich ab. Theresa bleibt aber vor mir stehen und quengelt, erst leise, weil ich es ignoriere, dann zunehmend lauter. Ich versuche, mich weiter auf das Fernsehprogramm zu konzentrieren und bleibe bei meiner Meinung. Doch Theresa gibt keine Ruhe. Dann wird es mir zu bunt und ich brülle meine Tochter an, dass sie endlich ins Bett gehen soll. Daraufhin bekommt sie einen Wutanfall und wirft sich heulend auf den Boden. Im Fernsehen beginnt nun der Film, den ich sehen will, doch Theresa ist immer noch nicht verschwunden. Entnervt lasse ich sie jetzt doch einen Keks essen, nachdem ich ihr vorher das Versprechen abgerungen habe, dass sie sich dann noch einmal sehr gründlich die Zähne putze und still ins Bett geht.
Thomas J., 34 Jahre
2. Was ist … autoritative Erziehung
Das Adjektiv "autoritativ" (lat.) kann mit respekteinflößend, verlässlich, entschieden, bestimmt oder maßgebend übersetzt werden, womit auch schon die Grundlagen des autoritativen Erziehungsstiles genannt sind. Unter allen Erziehungsformen hat sich der autoritative Stil heute als sogenannter "Königsweg" in der Erziehung durchgesetzt. So stehen bei dieser Erziehungsform Warmherzigkeit und Aufmerksamkeit ebenso im Vordergrund, wie das Setzen klarer Regeln und Normen und das konsequente Bestehen auf deren Einhaltung. Autoritative Eltern sind entschieden und liebevoll, streng und motivierend und nehmen Anteil am Leben ihrer Kinder. "Längsschnittstudien zeigen, dass Kinder, die nach dem Prinzip "Freiheit in Grenzen" erzogen wurden, sich zu lebensbejahenden, gemeinschaftsfähigen, aber auch leistungsfähigen Jugendlichen und Erwachsenen entwickeln."
vgl. Schneewind, Psychologie Heute, 7/08
3. Erziehungsalltag
"Bitte Mama, lass uns jetzt ausnahmsweise mal Fernsehen schauen. Der Timo darf auch schauen, soviel er will". Ihr Kind hat die Fernbedienung vielleicht schon in der Hand. Blitzschnelles Abwägen und eine sofortige Entscheidung sind gefordert. Eine von zahllosen Entscheidungen, die Eltern im Umgang mit ihren Kindern tagtäglich treffen müssen - und das meistens spontan, ohne länger darüber nachdenken zu können. Ständig müssen Eltern Grenzen setzen, Vorbild sein, Zuwendung und Liebe geben. Oft fühlen sie sich regelrecht überfallen von den Anforderungen ihrer Sprösslinge, so dass wenig Zeit für kluges und gerechtes Handeln bleibt. Eine 2002 von der Zeitschrift GEO in Auftrag gegebene Studie ermittelte, dass 44 Prozent der befragten Eltern Probleme damit haben, Grenzen zu setzen und konsequent zu bleiben. Viele Eltern fühlen sich mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert. Sie wissen, dass sie ihren Kindern gegenüber oft nicht so konsequent handeln, wie es erforderlich wäre. Ihnen ist bewusst: Wer Regeln aufstellt und Grenzen zieht, muss auch Konsequenzen aufzeigen und sie letztendlich auch durchsetzen, sonst sind Grenzen überflüssig. Doch immer konsequent zu sein ist ein hoher Anspruch. Je nach Tagesform und Stresspegel tun wir uns alle immer wieder mal schwer damit. Der Ruf nach klaren Werten und dem Setzen von Grenzen in der Kindererziehung ist sehr populär geworden. Aber in Zeiten, in denen kein gesellschaftlich allgemein akzeptierter Wertekatalog mehr besteht, ist das keine leichte Aufgabe. Jahr für Jahr nimmt die Nachfrage nach Erziehungsberatungen zu. Viele Familien können ihre Konflikte nicht mehr allein bewältigen. Noch nie war die Nachfrage nach Erziehungsratgebern und Elternberatung so groß wie heute.
4. Neue Wege gehen
Um Kindern Grenzen zu setzen und für deren konsequente Einhaltung sorgen zu können, ist es wichtig, sich zuerst einmal selbst zu fragen: "Was habe ich für Standpunkte, welche Werte und Grenzen sind mir wichtig?". Dass Kinder ihren Eltern auf der Nase herumtanzen, liegt nicht am "bösen" Willen der Kinder, sondern vielmehr daran, dass Kinder instinktiv spüren, wenn Eltern unsicher sind und in ihrer Haltung schwanken. Diese Selbstzweifel sind oft die Ursache, wenn Eltern sich nicht durchsetzen können. Sind Eltern dagegen von ihrer Haltung und ihren Forderungen an das Kind überzeugt, braucht es gar nicht so viele Kraftanstrengungen, um Kindern Grenzen zu setzen.
Verfolgen Sie die Einhaltung von Regeln konsequent?
Wie würden Sie reagieren, wenn Sie morgens immer wieder in allerletzter Sekunde die Brotzeitbox Ihres Sohnes ausspülen müssten? Sätze wie: "Das hab ich dir doch schon hundertmal gesagt!" gehören wahrscheinlich zum Standardrepertoire vieler Eltern. Gleichzeitig geht Ihnen vielleicht durch den Kopf: "Dann mach' ich's eben selbst und habe meine Ruhe." Oder in Bezug auf Theresa: "Dann bekommt sie eben ihren Willen und geht ins Bett." Manchmal kostet es weniger Kraft nachzugeben und nicht auf die Einhaltung der Abmachungen zu pochen. Florians Mutter hat sich schon oft vorgenommen, "So, dieses Mal geht er ohne Pausenbrot zur Schule". Doch den Worten folgten keine Taten. Vielleicht auch aus Fürsorge um ihren Sohn. Möglicherweise wollte sie vor anderen Müttern nicht als Rabenmutter dastehen, die ihr Kind ohne Pausenbrot in die Schule schickt. Theresas Vater ist sich zwar sicher, dass die Tochter abends keine Süßigkeiten mehr essen soll, aber andererseits möchte er Fernsehen und jetzt keine langen Diskussionen mit der Tochter führen. Es sind die kleinen Zweifel, die nur in ihrem Inneren gestellte Frage, ob sich diese Auseinandersetzung jetzt überhaupt lohnt, die ihren Worten die Durchsetzungskraft nehmen. Auch wenn Sie Ihre Zweifel nicht laut aussprechen, kommen sie an. Denn: Die Botschaften, die wir an unsere Mitmenschen aussenden, sind zu 80 Prozent nonverbal. Wenn Denken und Reden nicht übereinstimmen, haben Sie deshalb kaum eine Chance.
Kinder verstehen lernen
Wenn er mittags mach Hause kommt, ist es für Florian das Schönste, seinen Schulranzen in die Ecke zu stellen und seiner Mutter aufgeregt von den Schulereignissen zu berichten. Da vergisst er schnell mal die Apfelreste und das halb gegessene Salamibrot. Und am nächsten Morgen wiederholt sich das, was Florian schon kennt. Es ist zwar ein wenig unangenehm, doch das Gewitter geht schnell vorbei. Seine Mutter hat ihre Drohungen noch nie wahr gemacht. Bis zu dem Tag, an dem er sein Taschengeld ausgeben musste, weil er so Hunger hatte. Bleibt die Mutter noch zwei, drei Mal konsequent und lobt andererseits öfter mal die ausgeräumte Brotzeitdose, steigt die Chance, dass sie über die Pausenbox bald kein Wort mehr verlieren muss. Theresa dagegen hat erneut gelernt, dass sie nur beharrlich genug quengeln muss, damit sie bekommt, was sie will. Beim nächsten Mal wir sie es auf die gleiche Tour versuchen.
5. Lösungsvorschläge
Erstellen Sie - wenn Sie in einer Partnerschaft leben, möglichst mit Ihrem Partner - eine eigene, familieninterne Wertetabelle. Überlegen Sie, welche Werte Sie Ihren Kindern mitgeben wollen. Geben Sie den Werten, die Ihnen wichtig sind, eine Punktzahl auf einer von Ihnen festgelegten Skala. Wie wichtig ist es mir, dass mein Kind sofort nach dem Mittagessen die Hausaufgaben macht? Muss mein Kind wirklich den Teller leer essen? Soll ich mein Kind jeden Tag eine halbe Stunde Fernsehen lassen oder darf es sich nur am Wochenende ein ausgewähltes Video anschauen? Achten Sie darauf, dass die aufgestellten Regeln alters- und situationsgerecht sind und stellen Sie nicht zu viele Regeln auf einmal auf, sondern versuchen sie eine schrittweise Einführung. Fangen Sie mit einem einzigen Punkt an, mit dem Sie Ihre Konsequenz trainieren wollen.
Stellen Sie echten Kontakt her, indem Sie vor Ihrem Kind in die Knie gehen und ihm in die Augen schauen, wenn Sie mit ihm eine Regel besprechen möchten. Vermeiden Sie Gesprächssituationen, in denen Ihr Kind eigentlich mit etwas anderem beschäftigt ist. So gehen Sie sicher, dass Ihr Kind Ihre Botschaft wirklich hört und Ihnen die volle Aufmerksamkeit gilt. Außerdem stellt die Augenhöhe einen viel verbindlicheren Kontakt dar, als ein paar hingeworfene Sätze im Vorübergehen. Achten Sie auf eine ruhige und sachliche Stimme.
Seien Sie unmissverständlich, formulieren Sie klare, knappe Anweisungen. Mit Sätzen wie "Benimm dich ordentlich" oder "Wie sieht es denn in deinem Zimmer aus" können Kinder bis zu einem gewissen Alter nichts anfangen. Einem dreijährigen Kind beispielsweise müssen Sie genau erklären, was es wegräumen soll, z.B. die Legosteine in die Kiste, die Barbiekutsche in den Stall. Versuchen Sie, Ihre Anweisungen positiv zu formulieren, denn diese werden von Kindern eher gehört. Statt einem "Lauf nicht auf der Straße" probieren Sie mal ein "Geh auf dem Bürgersteig"
vgl. Kast-Zahn, A.; S. 96
Wiederholen Sie Ihre Anweisungen, als hätte Ihre Platte einen Sprung. Lassen Sie sich in der konkreten Situation nicht auf zeitaufwändige und kraftraubende Diskussionen mit Ihren Kindern über bestehende Regeln ein. Den Sinn der Regel sollten Sie in einer neutralen Situation in Ruhe und ohne Handlungsdruck mit dem Kind besprechen. (siehe oben unter: Stellen Sie echten Kontakt her)
Keine Regeln ohne Konsequenzen!
Wer Regeln aufstellt, muss auch Konsequenzen aufzeigen. Ihr Kind soll auf diese Art lernen, Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen. Handeln hat Folgen. Es ist sinnvoll, sich über mögliche Folgen rechtzeitig und überlegt Gedanken zu machen. Die Konsequenzen, die das Kind zu tragen hat, sollen "schmerzlich" unangenehm sein und einen Bezug zu der Regel haben, die das Kind missachtet hat. Überfordern Sie Ihr Kind nicht, indem Sie zu viele Regeln aufstellen. Achten Sie darauf, Ihr Kind in kein allzu enges Regelkorsett einzubinden. "So viele Regeln wie nötig und so wenige wie möglich!"
vgl. Weymann-Reichardt, S.11
Anstrengende Trotzphase
Gestresste Eltern, tobende Kinder - wie gehe ich mit dem Trotz meines Kindes um?
Trotzverhalten wird bei Kindern mit etwa eineinhalb Jahren beobachtet und dauert bis ins dritte, seltener ins vierte Lebensjahr. Die Ursache für das kindliche Verhalten liegt in einem Meilenstein in der psychologischen Entwicklung des Kindes.
1. Eltern erzählen
„Es war Montagmorgen und meine Tochter Marie (2 J.) sollte zur Kinderkrippe gebracht werden. Ich stand unter zeitlichem Druck, weil ich zu einem wichtigen Termin in die Arbeit musste. Als ich Marie ihre Stiefel anziehen wollte, griff sie nach ihren neuen Lackschuhen und lief mit ihnen fort. Ich rief: „Marie, komm zurück!“, doch sie hörte nicht. Schließlich schnappte ich sie mir im Wohnzimmer. Gegen ihren Willen versuchte ich, Marie die Schuhe anzuziehen. Doch sie sagte immer wieder: „Neue Schuhe alleine anziehen!“. Als ich durchgreifen wollte, brüllte sie: „Alleine!“, und trat nach mir.“.
Fiona M. (31 J.)
„Neulich begleitete mich mein Sohn, Alexander, (3 J.) zum Wochenendeinkauf in einen großen Supermarkt. Wir fuhren mit dem Wagen hin, doch schon die Parkplatzsuche gestaltete sich mehr als schwierig. Mir ist die Lust zum Einkaufen vergangen. Alex hat sich zunächst ganz brav in den Einkaufswagen gesetzt. Doch bereits nach kurzer Zeit wurde er zappelig und wollte heraus. Dann ist er sofort hinters Einkaufsregal gelaufen und kam mit einer Großpackung Gummibärchen zurück. In der Schlange zur Kasse quengelte er, weil er noch Kaugummis haben wollte. Als er die Packung aus dem Regal nahm und sie aufriss, habe ich sie ihm weggenommen. Daraufhin warf er sich auf den Boden und weinte.“.
Karsten A. (39 J.)
2. Was bedeutet die Trotzphase?
Trotzverhalten wird bei Kindern mit etwa eineinhalb Jahren beobachtet und dauert bis ins dritte, seltener ins vierte Lebensjahr. Die Ursache für das kindliche Verhalten liegt in einem Meilenstein in der psychologischen Entwicklung des Kindes. Die sogenannte Trotzphase (die Entwicklungspsychologie spricht auch von der Autonomiephase) ist dadurch gekennzeichnet, dass das Kind immer stärker nach Autonomie (altgriechisch = Selbstständigkeit) strebt. Während sich das Kleinkind vorher in all seinen Handlungen und Einstellungen an seinen Eltern orientiert hat, wird ihm plötzlich bewusst, dass es eine selbstständige Persönlichkeit hat. Das Kind, das im Begriff ist, seine Selbstständigkeit zu entdecken, strebt nach einer Ablösung aus der Abhängigkeit vom Willen der Bezugsperson (Mutter oder Vater). Bisher war sein Eigenwille mit dem Willen der Mutter eng verbunden. Die Entdeckung seines Willens wird mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, wie Schreien, „Nein - Sagen“ und Toben, durchgesetzt. Die Entfaltung der Autonomie ist eines von drei Grundbedürfnissen des Kindes. Sie steht für das Bedürfnis nach freier Bestimmung, die sich nun zum ersten Mal eigenständig zu erkennen gibt (vgl. Deci & Ryan, The initiation and regulation of intrinsically motivated learning and achievement). Unsere Expertin, Frau Dr. Becker-Stoll, Leiterin des Frühpädagogischen Instituts in München, führt neben dem Bedürfnis nach Autonomie noch zwei weitere Grundbedürfnisse an, deren Entstehung und Regelung in der Trotzphase von größter Bedeutung sind. Dabei handelt es sich zum einen um das Grundbedürfnis der Eigenkompetenz. Zum anderen um das Grundbedürfnis nach Bindung.
Das Bedürfnis nach Eigenkompetenz äußert sich in der Entschlossenheit des Kindes, alles im Alleingang tun zu wollen. Im Trotzalter entwickelt das Kind körperliche Fertigkeiten und will sich nicht mehr von den Eltern unter die Arme greifen lassen. Es möchte vielmehr die Welt erobern und seine eigenen Wege gehen (vgl. M. Hofferer: „Wenn Kinder trotzen. Hilfe, das ICH meines Kindes erwacht!“). Dieses Bedürfnis mündet in dem Erlebnis, das erste Mal eigenständig zu sein. Diese Erfahrung ist für das Kind und die Eltern neu und führt zu starken emotionalen Konfrontationen.
Als weiteres Grundbedürfnis des Kindes führt unsere Expertin, Frau Dr. Becker-Stoll, die Bindung an. Trotz der neuen Selbstständigkeit bleibt das Grundbedürfnis des Kindes nach emotionaler Bindung zu seinen Eltern erhalten. Das Kind möchte trotz und gerade wegen seiner „Trotzanfälle“ geliebt und verstanden werden. Es trotzt nicht, um die Eltern zu verletzen, sondern weil dies für seine Entwicklung von größter Bedeutung ist und letztendlich ganz natürlich ist. Dadurch lernt es seinen eigenen Willen kennen und steuern. Zum ersten Mal in seinem Leben erlebt es sich bewusst kompetent und damit auch selbstständig. Im Trotzalter macht das Kind grundlegende Erfahrungen, die ihm im weiteren Leben helfen.
Doch wie können Eltern die Grundbedürfnisse des Kindes befriedigen ohne, dass sie selbst ihre Bedürfnisse aus den Augen verlieren? Wie können Eltern in der Trotzphase entspannt bleiben und diese sogar genießen? Weitere Tipps erhalten Sie im vierten Teil unter Lösungsmöglichkeiten.
3. Erziehungsalltag
In den ersten eineinhalb Jahren scheint die familiäre Umwelt noch in Ordnung zu sein. Das Baby ist meistens glücklich und strahlt seine Eltern an. Doch bereits ab dem zweiten Lebensjahr zeigen Kinder deutliche Anzeichen von Wut, Ärger und Trotz. Auf einmal lässt sich das Kind nicht mehr so leicht beruhigen oder ablenken. Es widersetzt sich, will keine Regeln mehr befolgen, ist wütend und tobt oftmals lautstark ohne ersichtlichen Grund. Zudem kommt, dass das Kind alles alleine machen möchte. Es will sich alleine ankleiden und alleine essen. Es ist von seinen Fähigkeiten überzeugt, aber noch gelingen ihm die Dinge nicht so, dass sich ein sichtbares Ergebnis zeigt. Ein Satz wie: „Kann ich Dir helfen?“ kann bereits einen Tobsuchtsanfall auslösen (vgl. Jan-Uwe Rogger, Der große Erziehungsratgeber, S. 110-136). Da es auch alles alleine zu Ende bringen will, protestiert es lautstark, wenn Eltern ihm helfen wollen.
Ein anderes Beispiel: Das Kind ist in ein Spiel vertieft. Plötzlich kommen die Eltern und sagen: „Komm Schatz, jetzt müssen wir aber los!“. Ohne ersichtlichen Grund beginnt das Kind zu toben. Es wirft sich auf den Boden und schlägt wie wild um sich. Jeder Versuch, es zu beruhigen, bringt es noch weiter in Rage. Das Kind reagiert auf jede Veränderung von Gewohnheiten, wie beispielsweise auf eine anstehende Reise mit Enttäuschung, die sich in Frust, Wut und Zorn wandelt. Mit dem Trotz, den ein Kind in diesem Alter entwickelt, drückt sich die zunehmende Entwicklung seiner Selbstständigkeit aus. Doch die Eltern sind verzweifelt - sie erkennen ihr eigenes Kind nicht mehr. Das Idyll eines glücklichen familiären Zusammenlebens scheint in unerreichbare Ferne gerückt zu sein.
4. Neue Wege gehen - Kinder verstehen lernen
Beispiel 1 im ersten Teil
Gehen Sie feinfühlig mit Ihrem Kind um!
Das erste Beispiel verdeutlicht, dass Kinder schon sehr früh das Bedürfnis haben, Dinge selbst zu tun und damit Kompetenzen zu erwerben. Marie möchte selbstbestimmt handeln und die Schuhe ihrer Wahl selber anziehen, weil sie sich dabei als selbstständig und kompetent erleben kann. Ihr Bedürfnis nach Autonomie und Kompetenz prallt hier auf das Bedürfnis der Mutter, Marie schnell die wetterfesten Schuhe anzuziehen und sie rechtzeitig zur Krippe zu bringen, um selbst nicht zu spät zu kommen.
Damit Kinder ein aktives Erkundungsverhalten zeigen und sich mit ihrer Umwelt auseinandersetzen, brauchen sie die Basis einer sicheren Bindungsbeziehung zu ihren Eltern. Sind die Eltern für ihr Kind verlässlich verfügbar und gehen sie feinfühlig auf seine Bedürfnisse ein, dann bildet das Kind eine sichere Bindungsbeziehung zu ihnen aus. Diese ersten Bindungsbeziehungen zu den Eltern sind nicht nur wichtig, um von dort aus die Umwelt zu erkunden und eigene Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erwerben, sondern auch, weil Kinder in diesen Beziehungen den Umgang und die Regulation von Gefühlen erfahren und erlernen.
Trösten Sie Ihr Kind bei Kummer und helfen Sie ihm, wenn es sich ärgert!
Die Fähigkeit, vor allem negative Gefühle wie Ärger, Traurigkeit oder Angst zu regulieren, ist nicht angeboren, sondern wird erst bei den ersten Beziehungserfahrungen erlernt. Je kleiner ein Kind ist, desto stärker ist es darauf angewiesen, dass ihm Eltern helfen, mit seinen Gefühlen umzugehen. Um sich zu beruhigen, braucht ein Kind bei Kummer Trost, bei Ärger Hilfe und bei Angst Ermutigung und Sicherheit.
Gelingt es der Mutter, Marie liebevoll und einfühlsam bei der Bewältigung ihrer negativen Gefühle zu unterstützen, so wird Marie nach und nach lernen, ihre Gefühle selbst zu regulieren. Durch die emotionale Geborgenheit ihrer Mutter, lernt Marie ihre Gefühle wahrzunehmen, ihre Ursache zu erkennen und wirksame Strategien des Umgangs mit ihnen zu erlernen.
Sie können die Situation im Vorfeld entspannen!
Um einen Trotzanfall zu vermeiden, könnte die Mutter schon am Vortag mit Marie die Kleidung für die Kinderkrippe aussuchen. So könnte sie Zeit sparen, da Marie schon mit dem Anziehen der Schuhe beginnen kann, während die Mutter sich selbst anzieht. Je mehr Möglichkeiten Marie bekommt, selbst aktiv zu werden und ihre Kompetenzen bei der Vorbereitung des Tages, also beim Ankleiden, Frühstücken etc. selber erproben kann, desto weniger Enttäuschungen erlebt sie.
Sich selbst beobachten
Beispiel 2 im ersten Teil
Helfen Sie Ihrem Kind mit seinen Gefühlen umzugehen!
Das zweite Beispiel zeigt, wie schwierig es ist, die Gefühle des Kindes zu regulieren, wenn die eigene Anspannung oder Belastung groß ist. Für Alexander und seinen Vater Karsten ist der gemeinsame Einkauf gleichermaßen anstrengend, und für Alexander eine Aneinanderreihung von Frustrationen. Er kann weder seinem Bedürfnis nach freier Erkundung der Umgebung noch seinem Bewegungsdrang nachgehen und erfährt sich auch nicht als kompetenter Helfer, da seine Versuche, einzukaufen, auf Ablehnung beim Vater stoßen. Dazu kommen bei Alexander zur Reizüberflutung und Frustration auch noch Müdigkeit und Langweile hinzu.
Trotzverhalten bei Kindern hängt mit der Nicht-Erfüllung ihres Grundbedürfnisses nach Autonomie und Kompetenz zusammen, die zu Wutausbrüchen und Verzweiflung führen. Aber auch Situationen, in denen Kinder emotional überfordert, müde, abgespannt und zu vielen Reizen ausgesetzt sind, tragen zu Gefühlsausbrüchen bei. Kinder sind auf die Hilfe ihrer Eltern angewiesen, um mit diesen überwältigenden Gefühlen umzugehen. In dieser Überforderungssituation hilft es Kindern am besten, wenn Eltern ihrem Kind signalisieren, dass sie da sind und bereit sind, ihr Kind zu unterstützen. Je nach Temperament des Kindes kann eine liebevolle Umarmung oder ein ruhiges Abwarten helfen. Entscheidend sind, die Haltung der Eltern zum Kind in der Situation und das Wissen darum, dass ein Kind in diesem Alter seine Gefühle nicht selber regulieren kann. Liebevolle, geduldige Zuwendung führt bei einem Trotzanfall zur Schlichtung des Konfliktes, manchmal ist auch Humor oder eine witzige Ablenkung hilfreich.
Beugen Sie einem Trotzanfall vor!
Am besten ist jedoch das Vorbeugen. Genau hinsehen, wann ein Trotzanfall kommt, um beim nächsten Mal die Situation im Vorfeld entspannen zu können.
In unserem Beispiel der Vater, Karsten, könnte z.B. bedenken, dass der Wochenendeinkauf für Alexander anstrengend und ermüdend sein wird. Er könnte für seinen Sohn eine kleine Brotzeit, etwas zu trinken und sein Lieblingsspielzeug mitnehmen. Er könnte auch versuchen, Alexander beim Einkaufen Aufgaben zuzuteilen, z.B. ihn fragen, welche Dinge er suchen und in den Einkaufswagen legen möchte. Beim Warten an der Kasse, könnten Brotzeit oder Spielzeug zum Einsatz kommen. Alexander kann dann auch helfen, die Waren auf das Band zu legen und zum Auto zu tragen. So könnten die Bedürfnisse des Kindes nach Aufmerksamkeit und Zuwendung sowie nach selbstbestimmter Mitwirkung und dem Erleben eigener Kompetenz berücksichtigt werden.
5. Lösungsvorschläge
Alle Literaturangaben und weitere Literaturtipps finden Sie auf unserer Website unter Informationen für Kinder und Erwachsene.
Nehmen Sie das „Nein“ nicht persönlich
Versuchen Sie stets daran zu denken, dass es sich beim Trotzalter um eine sehr wichtige, zeitlich begrenzte Entwicklungsstufe im Leben Ihres Kindes handelt. In dieser Phase wird sich Ihr Kind seines eigenen Willens bewusst und strebt nach Autonomie. Die daraus entstehenden familiären Konflikte sind natürlich und stellen keinen Kampf dar, bei dem es Gewinner und Verlierer gibt.
Überprüfen Sie Regeln und Verbote
Versuchen Sie, in der Trotzphase Ihrem Kind Struktur und Beständigkeit zu geben. Bringen Sie es nicht durch neue Regeln und Verbote durcheinander, wenn es schreit und tobt. Überprüfen Sie lieber Ihre Regeln und Verbote. Oftmals gilt dabei die Regel: Weniger ist mehr. Erklären Sie Ihrem Kind klar und deutlich, was Sie wollen und nicht wollen (vgl. M. Hofferer: „Wenn Kinder trotzen. Hilfe, das ICH meines Kindes erwacht!“). Achten Sie bitte darauf, dass auch Sie sich an die Abmachungen halten. Denn was für Ihr Kind gilt, gilt auch für Sie.
Veränderungen vorausplanen
Versuchen Sie Ihrem Kind die Möglichkeit zu geben, sich auf Veränderungen vorzubereiten. Planen Sie, wenn möglich, für alle Tätigkeiten mehr Zeit ein. Vermeiden Sie dabei Situationen, die zur Eskalation führen könnten. Überlegen Sie von vornherein, wann Ihr Kind einen Trotzanfall bekommt. So können Sie Trotzanfällen vorbeugen und beim nächsten Mal die Lage entspannen.
Selbstständigkeit fördern
Ihr Kind möchte alles alleine machen? Um seine Selbstständigkeit zu fördern, könnten Sie Ihrem Kind ein paar kleinere Aufgaben im Haushalt übertragen. Lassen Sie es Dinge tun, die es sicher beherrscht. Nehmen Sie sich Zeit für gemeinsame Unternehmungen, in denen ihr Kind miteinbezogen wird.
Manchmal hilft eine Auszeit
Trotzanfälle sollten nicht bestraft werden, denn Strafen verschärfen nur das Problem. Wenn Sie sich mit der Situation überfordert fühlen, ist es manchmal sinnvoll, das Kind in sein Zimmer zu schicken, oder selbst in ein anderes Zimmer zu gehen. Wenn es Ihnen möglich erscheint, sollten Sie sagen: „Wenn du dich beruhigt hast, kannst du wiederkommen!
Was hilft, wenn ich mit meiner Geduld am Ende bin?
Eltern, die dem eigenen Idealbild von Kindererziehung immer gerecht werden, gibt es nicht. Sie alle haben schon einmal erlebt, dass sie statt Liebe und Einfühlungsvermögen nur noch Wut und Ärger äußern können. Was kann man tun, damit es nicht so weit kommt?
1. Eltern erzählen
„Annas Kreischen und Weinen machte mich wahnsinnig. Seit einer halben Stunde ging das nun so. Und das alles nur, weil die Puppe einen Arm verloren hatte. Drei Mal war ich schon bei ihr gewesen und hatte versucht, sie zu beruhigen – doch ohne Erfolg. Ich spürte, wie ich allmählich die Geduld verlor. Dann ging ich mit schnellen Schritten wieder in ihr Zimmer, blieb vor dem Kind, das auf dem Boden saß, wütend stehen und schrie sie an: ‚Kannst Du nicht endlich still sein! Kapierst Du nicht, dass der Arm davon auch nicht wieder an der Puppe ist?!’ Anna schaute mich mit großen Augen ängstlich an und war still.“
Karin B., 34 J.
„Ich kam auf dem letzten Drücker am Kindergarten an. Außer Felix waren alle anderen Kinder schon abgeholt worden. Doch gerade, als ich das Büro verlassen wollte, hatte mein Chef noch einen Wunsch, den er unbedingt loswerden musste. Und dann war es wie immer um die Zeit: alle Straßen waren verstopft. Jetzt wollte ich nur noch schnell nach Hause. Felix brauchte aber ewig, um sich anzuziehen und ließ sich partout nicht helfen. Auf dem Weg zum Auto musste es dann unbedingt noch ein Eis sein, was ich ihm genervt genehmigte. Als er danach auch noch nicht einsteigen, sondern das Schaukelpferd ausprobieren wollte, fuhr ich aus der Haut: ‚Jetzt ist aber Schluss mit dem Theater!’ Ich zerrte ihn an der Hand zum Auto. Er sträubte sich mit allen seinen Kräften. Ich zerrte ihn gegen seinen Willen weiter. Als er dann immer noch nicht aufgab, knallte es. Im Auto saß er leise weinend mit gesenktem Kopf auf dem Rücksitz. In mir bohrte mein schlechtes Gewissen, doch ich starrte stur geradeaus auf die Straße.“
Elmar S., 41 J.
2. Was ist Gewalt?
Seelische Gewalt
Alle Worte, Handlungen oder Unterlassungen von Erwachsenen, durch die ein Kind in seinem Wert herabgesetzt, geängstigt, lächerlich gemacht, gedemütigt oder überfordert wird, sind Formen seelischer Gewalt. Der Erwachsene ist immer der Stärkere. Das Kind fühlt sich ohnmächtig und ihm hilflos ausgeliefert. Auch Liebesentzug kann psychische Gewalt sein. Solche Verhaltensweisen beeinträchtigen auf Dauer eine vertrauensvolle Beziehung zwischen dem Erwachsenen und dem Kind und behindern seine geistig-seelische Entwicklung. Ein Kind, das sich abgelehnt fühlt, kann kein stabiles Selbstbewusstsein aufbauen. Die Schäden seelischer Gewalt sind oft folgenschwer und können mit denen körperlicher Gewalt verglichen werden.
Körperliche Gewalt
Hierzu zählen Prügel, Schläge mit Gegenständen, Kneifen, Beißen, Treten und Schütteln des Kindes. Darunter fallen Stichverletzungen, Vergiftungen, Würgen, Ersticken und Schäden, die durch Verbrennen, Verbrühen oder Unterkühlen entstehen. Schwere physische Misshandlungen werden vor allem an Säuglingen und Kleinkindern begangen. Sie sind in 95 % aller Fälle Wiederholungstaten.
Prof. Gert Jacobi, Zentrum für Kinderheilkunde, Uni Frankfurt/Main
In der „Konvention der Rechte des Kindes“, die die Generalversammlung der Vereinten Nationen 1989 verabschiedet hat, verpflichten sich die Unterzeichner-Staaten, Kinder vor „jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung“ zu schützen. Seit dem Jahr 2000 ist das „Recht auf gewaltfreie Erziehung“ im Bürgerlichen Gesetzbuch der Bundesrepublik verankert. Nach §1631 BGB sind auch seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen“ unzulässig.
3. Erziehungsalltag
„Wer nicht hören will, muss fühlen!“ lautete früher ein gesellschaftlich allgemein akzeptierter Spruch. Die ganz große Mehrheit der Eltern findet es heute nicht mehr richtig, Kinder mit Gewalt zum Gehorsam zu zwingen. Untersuchungen belegen jedoch, dass zwischen der moralischen Einstellung und dem tatsächlichen Verhalten eine große Diskrepanz besteht. Tatsächlich wissen viele Eltern in Situationen, die sie als unerträglich empfinden, keinen anderen Ausweg, als körperliche Strafen anzuwenden. Ihnen rutscht im wahrsten Sinne des Wortes die Hand aus, obwohl sie körperliche Züchtigung eigentlich ablehnen.
Nach einer gemeinsamen Studie des Bundesfamilien- und Bundesjustizministeriums gilt für rund 87 Prozent der Eltern die gewaltfreie Erziehung als ideal. Noch im Jahr 1992 gaben rund 41 Prozent der befragten Jugendlichen an, mit einem Stock versohlt worden zu sein. In der aktuellen Studie waren es nur noch knapp fünf Prozent. Eine schallende Ohrfeige erhielten 1992 rund 44 Prozent der Kinder, jetzt sind es noch 14 Prozent. Selbst in gewaltbelasteten Familien änderte sich etwas: Bekamen 1992 noch 98,9 Prozent der Kinder regelmäßig Prügel, so sank die Zahl zum Herbst 2002 auf 20,1 Prozent.
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; Bundesministerium der Justiz: Bilanz nach Einführung des rechts auf gewaltfreie Erziehung, 2003
Die Sachverständigenkommission zum Zehnten Kinder- und Jugendbericht stellt aufgrund einer Studie von Wetzel eine Hochrechnung an, aus der sich ergibt, dass pro Jahr etwa 150.000 Kinder unter 15 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland durch ihre Eltern körperlich misshandelt werden. Die Dunkelziffer ist vermutlich wesentlich höher, besonders bei Formen psychischer Gewalt, die in der Regel nicht angezeigt werden. Oft sind Überlastung und Doppelbelastung durch Familie und Erwerbstätigkeit, Überforderung, Ehekonflikte oder hohe innere Anspannungen Ursachen dafür, dass Eltern mit ihrer Geduld am Ende sind.
4. Neue Wege gehen
Wut ist ein alltägliches Gefühl im Zusammenleben zwischen Eltern und Kindern. Niemand ist immer nur in positiver Stimmung. Wichtig ist, dass Sie als Eltern dieses Gefühl nicht verdrängen. Wer seine Gefühle verleugnet, entwickelt Schuldgefühle und verdeckte Aggressionen, die sich dann gegen andere richten. Zu unkontrollierten Ausbrüchen kommt es in der Regel erst, wenn sich Gefühle aufgestaut haben, die längere Zeit nicht heraus durften. Deshalb sollten Sie Ihre negativen Emotionen unbedingt möglichst bewusst wahrnehmen, ernst nehmen und ihnen auf den Grund gehen.
Sich selbst beobachten
Jeder kennt solche Situationen: Ihr Kind schreit und lässt sich nicht beruhigen, wie Anna, deren Puppe einen Arm verloren hat. Wie fühlte sich die Mutter, bevor das Geschrei begann? Vielleicht ließ die Familienarbeit ihr den ganzen Tag keine Zeit für Dinge, die ihr auch wichtig gewesen wären. Vielleicht war der Gedanke "Auch das noch!" ihr erstes Gefühl, als sie Anna weinen hörte. Mag sein, dass die Mutter mehrfach in Annas Zimmer ging, aber galt der Tochter in diesem Moment wirklich ihre aufrichtige Anteilnahme und Aufmerksamkeit? Hatte sie den Kopf dafür frei, sich auf Annas kleine Sorgen einzulassen? Oder hatte sie eigentlich nur ein Ziel: Ruhe herstellen und schnell wieder zurück in die Küche kommen.
Kinder verstehen lernen
Versetzen sie sich einmal in den kleinen Felix. Von 9 bis 17 Uhr war er im Kindergarten. Felix freut sich, dass der Papa ihn abholt. Wie soll er verstehen, dass der Vater seine Arbeit im Büro für heute zwar beendet, aber trotzdem keine Zeit für ihn hat, weil er eigentlich nichts mehr hören und sehen, sondern nur noch seine Ruhe haben möchte? Warum soll er sich gerade jetzt nicht selbst anziehen, wo er doch so stolz darauf ist, dass er das allein machen kann und die Mama ihn vielleicht am Morgen noch dafür gelobt hat? Vielleicht hat er den genervten Unterton des Vaters durchaus wahrgenommen, aber die Gründe dafür kann er sicher nicht nachvollziehen.
5. Lösungsvorschläge
Wenn Sie spüren, dass in einer Situation Wut in Ihnen aufsteigt, gibt es ein paar einfache Übungen, mit denen Sie Ihren Adrenalinspiegel schnell senken können:
- Atmen Sie ein paar Mal tief durch
- Zählen Sie von 1 bis 10
- Stellen Sie sich vor, welchen Wert Sie gerade auf ihren "Ärgerthermometer" haben
- Stellen Sie sich vor, Sie haben den Fernseher eingeschaltet und sehen sich selbst, wie Sie gerade agieren
- Nehmen Sie sich eine "Auszeit". Bitten Sie um fünf Minuten ungestörte Ruhe in einem anderen Raum, um "abkühlen" zu können.
Probieren Sie aus, welche dieser Übungen für Sie am Besten geeignet ist.
Klaus A. Schneewind: Freiheit in Grenzen, Interaktive CD, München 2003
Sprechen Sie von Ihren Gefühlen
Selbst, wenn die Kinder in einem Alter sind, in dem sie noch nicht alles verstehen können, ist es sinnvoll und richtig, ihnen die eigenen Gefühle mitzuteilen und zum Beispiel zu erklären, warum man mit seinen Gedanken gerade ganz woanders ist. Sagen Sie Ihrem Kind, wie Ihnen innerlich zumute ist. Es lernt daraus, dass Eltern auch nur Menschen sind und negative Emotionen zum Leben dazu gehören. Nicht zuletzt machen Sie mit einer solchen Erklärung auch sich selbst bewusst, wie es in der augenblicklichen Situation um die eigenen Gefühle und Bedürfnisse bestellt ist.
Überfordern Sie sich nicht
Natürlich kann keine Mutter und kein Vater den Kopf immer "frei" haben für die Bedürfnisse und Nöte der Kinder. Das erwartet niemand. Und Sie selbst sollten Ihre Erwartungen an sich auch nicht so unerreichbar hoch schrauben. Doch es ist wichtig, sich bewusst zu machen, wann Sie innerlich mit sich selbst beschäftigt sind, und wann Sie wirklich in der Lage sind, sich dem Kind zuzuwenden. Kinder spüren es ohnehin, wenn ihre Eltern eigentlich etwas ganz anderes im Kopf haben. Sie können sich nur nicht erklären, warum das so ist. Außerdem: Es kommt weniger auf die Quantität, als auf die Qualität ihres Zusammenseins an. Es ist nicht so entscheidend, wie viele Stunden Sie täglich für Ihr Kind Zeit haben, sondern dass es Zeiten gibt, in denen Sie sich wirklich voll dem Kind zuwenden.
Nehmen Sie Ihre eigenen Bedürfnisse ernst
Viele Eltern kennen das Gefühl "nur noch für andere da sein zu müssen". Unterschwellige Unzufriedenheiten mit den Belastungen des Elternseins können Überreaktionen auslösen. Bauen Sie sie ab, indem Sie auch die eigenen Bedürfnisse ernst nehmen. Um für die Zukunft Situationen zu vermeiden, in denen sie mit Ihrer Geduld am Ende sind, kann es helfen, wenn Sie jeden Tag auch ein bisschen Zeit ganz für sich selbst einplanen. Wenn Sie gelegentlich mal eine zuverlässige Betreuung organisieren und ein paar Stunden "Urlaub" vom Kind machen, tut das nicht nur Ihnen, sondern letztendlich auch Ihrem Kind gut.
Hilfe, mein Kind schreit!
Eigentlich sind Sie immer für Ihr Baby da. Aber was tun, wenn es schreit und sich durch nichts beruhigen lässt?
1. Eltern erzählen
"Seit zweieinhalb Stunden trage ich nun den schreienden Xaver auf dem Arm durch die Wohnung. Doch egal, ob im hellen Wohnzimmer, vor dem Fernseher oder im kühlen, dunklen Schlafzimmer, immer gönnt er sich und mir nur ein paar Minuten Ruhe. Was ich auch tue um ihn zu beruhigen, es hilft immer nur für einen kurzen Moment. Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich noch alles mit diesem Baby anstellen soll. Sein permanentes Schreien macht mich fix und fertig. Nicht zum ersten Mal bin ich kurz davor, ihn anzubrüllen oder zu beschimpfen. Ich komme auch selbst gar nicht mehr zur Ruhe, fühle mich völlig ausgelaugt. Denn schläft Xaver endlich an meiner Schulter ein, ist an ein Ablegen in seinem Bettchen auch nicht zu denken. Meist geht dann das ganze Gezeter wieder von vorne los."
Heidi R. (31 J.)
"Den Tränen nahe habe ich innerhalb der letzten Stunde dreimal meinen Mann angerufen und ihn angefleht, endlich nachhause zu kommen, damit ich ihm unsere weinende Tochter übergeben kann. Sara ist erst zwei Monate alt, doch wenn das so weitergeht, drehe ich durch! Ich bin mit den Nerven am Ende und völlig verzweifelt, da ich einfach nicht weiß, was sie hat, was mit ihr los ist. Der Kinderarzt konnte uns auch nicht weiterhelfen: "Ihrem Kind fehlt nichts, es leidet wahrscheinlich unter Dreimonatskoliken", lautete seine Diagnose. Ich fühle mich ohnmächtig und frage mich, ob ich zu unsensibel und zu unbegabt bin, wenn es um die Bedürfnisse meines Kindes geht. Dabei will ich eine gute Mutter sein. Doch manchmal wünsche ich mir mein Leben ohne Kind wieder zurück."
Evi L. (26 J.)
2. Gibt es so etwas wie ein "Schreibaby"?
Alle Babys weinen in den ersten Lebenswochen viel, aber einige schreien erheblich mehr und länger und lassen sich scheinbar durch nichts beruhigen. Für manche Eltern ist es eine Erleichterung zu erfahren, dass es solche Babys wirklich gibt, die ohne erkennbaren Grund unstillbar schreien. Um den Schweregrad eines Schreiproblems für wissenschaftliche Studien auf vergleichbare Weise zu erfassen und exzessives Schreien von normalem Schreien abzugrenzen, haben sich die Schreiforscher auf folgende Dreierregel geeinigt: Exzessives Schreien liegt vor, wenn der Säugling rund um die 5. bis 7. Lebenswoche quengelt und schreit
- mindestens drei Stunden pro Tag
- an mindestens drei Tagen der Woche
- über einen Zeitraum von mindestens drei Wochen.
Diese Regel ist für die Vergleichbarkeit von Forschungsergebnissen wichtig und sinnvoll, macht aber für die betroffenen Familien wenig Sinn. Auch nur eine Stunde unstillbaren Schreiens Tag für Tag kann ausreichen, um ohnehin belastete Eltern vollends zu erschöpfen, während andere Eltern, die ausreichend Unterstützung seitens der Familie und Nachbarschaft erfahren, auch mit vier oder fünf Stunden Quengeln und Schreien zurecht kommen.
Um die 5. bis 7. Lebenswoche erreichen die meisten Babys den Höhepunkt ihrer Schreibereitschaft. Danach ebbt in der Regel das Quengeln und Schreien allmählich ab und nimmt im Alter von drei Monaten nochmals deutlich ab. Vermehrte Unruhe- und Schreizustände ohne erkennbare Ursache stehen in engem Zusammenhang mit den vielerlei physiologischen Anpassungen und Reifungsprozessen, die das Baby nach der Geburt zu bewältigen hat. Dazu gehören auch die Regulation eines ruhig ausgeglichenen Wachzustands, die Regulation reibungsloser Übergänge vom Wachen zum Schlaf, das Aufnehmen und Verarbeiten von Umweltreizen, die Gewöhnung an regelmäßige Schlaf-Wach-Zyklen über den Tag und allmählicher Stabilisierung des Nachtschlafes. Nicht alle neugeborenen Babys meistern diese Reifungs- und Anpassungsphase so gut wie die "pflegeleichten" Babys.
Bei jedem 4. bis 5. Baby ist die Anpassung erschwert. Deshalb sind diese "schwierigeren" Babys in den ersten Wochen auf umso mehr Regulationshilfen von ihren Eltern angewiesen, auf Körperkontakt, sanftes Wiegen auf dem Arm und den beruhigenden Klang der Stimme. Die betroffenen Babys sind gegenüber Geräuschen und anderen Umweltreizen besonders empfindlich, reagieren mit vermehrter Erregung und können nicht einfach "abschalten", wenn sie ermüden oder bereits überreizt sind. Tagsüber schlafen sie oft nur kurz, ohne sich dabei wirklich zu erholen. Zum Abend hin werden sie zunehmend überreizt, motorisch unruhig und tun sich immer schwerer, in den Schlaf zu finden. Trotz Übermüdung scheinen sie gegen das Einschlafen anzukämpfen. Oder sie nicken auf dem Arm immer wieder vor Übermüdung ein, schrecken aber sofort hoch, sobald sie zum Weiterschlafen ins Bettchen gelegt werden. All dies führt zu vermehrter Unruhe und oft unstillbarem exzessivem Schreien. In den seltensten Fällen ist exzessives Schreien auf sog. Dreimonatskoliken (Blähungen) oder andere Probleme im Verdauungstrakt (Reflux) zurückzuführen. Das auszuschließen ist Aufgabe des Kinderarztes. Blähungen haben mehr oder weniger alle kleinen Babys, ohne dass dies zu langen Schreizuständen führt. Umgekehrt kann exzessives Schreien durch Luftschlucken die normalen Blähungen verstärken.
Noch einmal: Gibt es so etwas wie ein "Schreibaby"?
Die Antwort ist: nein. Es gibt aber Babys die aufgrund einer vorübergehenden Unreife ihrer Regulationsfähigkeiten in den ersten Wochen vermehrt schreien und unruhig sind. Sie haben ein Schreiproblem, das sich in der Regel im Alter von drei Monaten "auswächst". Nur wenige dieser Babys neigen auch über den dritten Monat hinaus zu erhöhter Erregbarkeit, vermehrtem Schreien und Schlafproblemen mit besonderen Anforderungen an die Eltern. Solche anhaltenden Schreiprobleme sind meist auf chronische Überforderungssituationen in Zusammenhang mit kindlichen und familiären Risikobelastungen zurückzuführen. Auch diese lassen sich durch frühzeitige Beratung meist rasch lösen. Der nachfolgende Text entstand in der Anlehnung an das erfolgreiche Buch von Frau Dr. Graf in Zusammenarbeit mit Frau Prof. Dr. Walper: Familienteam – das Miteinander stärken. Das Geheimnis glücklichen Zusammenlebens. Frau Prof. Dr. Walper steht Ihnen bei Fragen zu unserem Monatsthema „Emotions-Coaching“ zur Verfügung.
3. Umgang mit einem exzessiv schreienden Baby
Chronische Unruhe und unstillbares Schreien über viele Wochen, gelegentlich sogar Monate, stellt für die ganze Familie einen erheblichen Stressfaktor dar und bringt die Eltern unweigerlich an den Rand der Erschöpfung.
Die Nerven liegen blank. Warum ist das Schreien von Babys für Eltern so belastend?
Schreien ist ein wichtiges angeborenes Alarmsignal des Babys, mit dem es der Umwelt Bedürfnisse wie Hunger, Durst, Frieren oder Schwitzen, Missbehagen oder Schmerzen bei Erkrankungen und Nähebedürfnisse mitteilt. Das Schreien alarmiert die Umwelt im wahrsten Sinne des Wortes:
- wie bei einem akuten Stress steigen emotionale Erregung, Herzfrequenz, Blutdruck und Feuchtigkeit der Haut; das Schreien weckt eine starke Motivation, etwas zu tun, um den Anlass des Schreiens herauszufinden und das Schreien zu beenden.
- das Schreien weckt Fürsorglichkeit und ein Bedürfnis, das Baby auf den Arm zu nehmen, zu wiegen und mit beruhigender Stimme zu trösten.
- Normalerweise schmiegt sich das Baby auf dem Arm von Mutter oder Vater an und kommt allmählich zur Ruhe, und mit ihm gemeinsam kommen die Eltern zur Ruhe und erleben ein wunderschönes Gefühl von Nähe zu ihrem Baby; und sie gewinnen Selbstvertrauen in ihre intuitiven Fähigkeiten.
Für viele der chronisch unruhigen, exzessiv schreienden Babys ist das Herumtragen auf dem Arm eine wohltuende Regulations- und Beruhigungshilfe. Wehe aber, wenn das Baby abgelegt wird! Es beginnt sofort wieder zu schreien, selbst dann, wenn es zuvor eingeschlafen war. Ist ein Elternteil den ganzen Tag allein mit dem Baby, bleibt kein ruhiger Moment für die alltäglichen eigenen Bedürfnisse (z.B. in Ruhe Duschen). Diese Babys benötigen in den ersten Wochen besonders viel körperliche Nähe - die Nähe von innerlich ruhigen, zugewandten Bezugspersonen. Sie werden dadurch nicht verwöhnt. Am besten gelingt dies, wenn neben der Mutter auch der Vater, andere Familienmitglieder oder Nachbarn bereit sind, die Mutter regelmäßig abzulösen.
Bei unstillbarem Schreien helfen die normalen Beruhigungshilfen nicht. Das heißt für die Eltern: Auch sie kommen nicht zur Ruhe, im Gegenteil steigen Erregung und Anspannung. Dies führt wie eine anhaltende Stressbelastung zu Erschöpfung, Schlafdefizit und erhöhter Erregbarkeit. Unstillbares Schreien bescheinigt den Eltern: Du versagst! Du kannst mich nicht beruhigen, nicht stillen, nicht zufrieden stellen. Dies löst erhebliche Verunsicherung, Hilflosigkeit, depressive Überforderungsgefühle, manchmal auch Verletzungsgefühle aus. Der Traum, eine besonders gute Mutter zu sein, scheint ausgeträumt. Auch der Traum, ein pflegeleichtes Kind zu haben, scheint ausgeträumt. Das Baby ist schwierig, fordert ständige Aufmerksamkeit, macht sich auf dem Arm steif, ist im Zustand des Schreiens nicht mehr zugänglich. Diese Erfahrungen wecken Ängste in Bezug auf die Zukunft des Kindes (Wie wird es sich entwickeln?), aber regelmäßig - aus Ohnmacht und Hilflosigkeit heraus - auch Abwehr, Ärger und Wut. Die meisten betroffenen Eltern erschrecken über solche negativen Gefühle gegenüber ihrem Baby; ihre Schuldgefühle bewahren sie davor, ihre aggressiven Tendenzen an dem Baby auszulassen. Ihre Erregung und Anspannung setzt sich jedoch unwillkürlich in immer heftigeres Wiegen und Schaukeln um, um das Schreien endlich abzustellen.
So entsteht eine Spirale, in der sich Erregung und Verzweiflung von Baby und Eltern gegenseitig verstärken. Dies kann gefährlich werden! Aus solcher Spirale heraus kommt es leider immer wieder dazu, dass Eltern ihr Baby vor sich halten, anschreien und schütteln.
4. Neue Wege gehen
Jetzt haben Sie sich 9 Monate auf Ihr Kind gefreut und nun schreit und weint es schier ununterbrochen. Sie trauen sich schon gar nicht mehr zum Einkaufen, denn Sie können die Blicke der Anderen nicht mehr ertragen, wenn Ihr Baby wieder einmal laut krähend im Kinderwagen liegt und Sie es nicht beruhigen können. Auch der angekündigte Besuch der Schwiegermutter versetzt Sie in Angst und Schrecken: "Ich sehe doch an ihren Blicken, dass sie mich für eine Versagerin hält." Suchen Sie die Ursache für Ihr anstrengendes Kind nicht bei sich selbst, sondern gestehen Sie sich ein, ein schwieriges Kind zu haben! Kehren Sie Ihre Probleme nicht unter den Teppich mit Argumenten, wie: "Alle Babys schreien, da müssen wir durch." Vor einer Verharmlosung des Schreikindphänomens warnen Fachleute, wie die Münchner Professorin für Psychiatrie Mechthild Papoušek, da "… es doch nachweislich die entstehende Mutter-Kind-Beziehung massiv belastet und in seltenen Fällen sogar zu Kindesmisshandlung und Vernachlässigung führen kann".
Sich selbst beobachten
Das Schreien eines Babys lässt niemanden kalt. Viele Eltern würden alles darum geben, wenn Ihr Kind endlich ruhig wäre. Manche greifen in ihrer Verzweifelung zu den abenteuerlichsten Beruhigungs-Methoden, um das Schreien wenigstens für eine kurze Zeit abzustellen. Nächtliche Autofahrten, laufende Staubsauger und stundenlanges Gehüpfe auf dem Gymnastikball sind da keine Seltenheit. Doch nehmen Sie vor lauter Aktivismus wirklich noch wahr, wie Ihre Beruhigungsangebote bei Ihrem Baby ankommen? Oder probieren Sie einfach nur alle Ihnen bekannten Tricks durch, in der Hoffnung, den richtigen zu finden? Eltern sind in der Regel bereit, ihr Leben für ein Baby zu ändern. Doch sich völlig dem Rhythmus eines anderen Menschen zu unterwerfen, ist eine harte Geduldsprobe. Das schürt Unzufriedenheit, Ohnmacht, Wut, manchmal sogar Hass, der sich natürlich auf ihr Kind überträgt.
Kinder verstehen lernen
Xaver schreit und kann sich nicht beruhigen. Die Mutter trägt ihn pausenlos in der Wohnung herum. Mal ist es hell, mal dunkel, mal ist der Fernseher laut, dann ist es mucksmäuschenstill. Xaver nimmt immer wieder neue Reize wahr, die seine Aufmerksamkeit fordern. Der Kleine kann trotz seiner enormen Müdigkeit den Blick nicht abwenden. Stellen Sie sich vor, Sie sind müde und möchten gerne schlafen, aber vor Ihren Augen läuft ein unglaublich spannender Film. Um Einschlafen zu können, müssen Sie ihn ausschalten. Babys "sprechen" ihre eigene Sprache, die Eltern erst lernen müssen, indem sie das Kind aufmerksam beobachten. Wie reagieren Sie auf die Signale, die Ihr Kind aussendet? Bringen Sie Ihr Baby beispielsweise schon beim ersten Gähnen zu Bett oder haben Sie das Wegdrehen seines Kopfes irrtümlich als Suche nach neuen Reizen interpretiert? Auch wenn Ihr Kind mit aufgerissenen Augen alles um sich herum aufsaugt, kann es sinnvoller sein, die Reize möglichst gering zu halten. Vielen verzweifelten Eltern gelingt es nicht, die Bedürfnisse ihres Kindes richtig einzuschätzen und zu deuten. Aus diesem Grund bieten einige Beratungsstellen für Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern so genannte Baby-Lese-Stunden an.
5. Lösungsvorschläge
Schütteln Sie nie Ihr Baby!
Beim Schütteln schlingert das Köpfchen hin und her. Im Innern kommt es dabei zu Rissen feiner Blutäderchen und dadurch zu Hirnblutungen, die tödlich sein können. Deshalb legen Sie Ihr Baby rechtzeitig an einem sicheren Ort ab, um die verhängnisvolle Spirale zu unterbrechen. Versuchen Sie sich zuerst selbst zu beruhigen und kehren erst dann zu ihrem Baby zurück, wenn Sie es sich wieder zutrauen.
Es liegt nicht an Ihnen
Führen Sie sich immer wieder vor Augen: Es liegt nicht an Ihnen, dass Ihr Kind so exzessiv schreit. Es schreit nicht, weil Sie eine unerfahrene, ängstliche, angespannte oder emotional überforderte Mutter sind. Führen Sie Buch. Dokumentieren Sie über einen gewissen Zeitraum den genauen Tagesablauf mit allen Verhaltensweisen Ihres Kindes. Sie können so wichtige Zusammenhänge über das Schreiverhalten Ihres Kindes gewinnen.
Babys brauchen Strukturen
Schaffen Sie einen klar strukturierten Tagesablauf mit festen Ritualen und Zeiten. Sie helfen so Ihrem Kind, seinen eigenen Rhythmus leichter zu finden.
Weniger ist mehr
Reduzieren Sie sämtliche Reize, die Ihr Kind überfordern könnten, da Schreibabys über eine besonders niedrige Reizschwelle verfügen.
Zeit für mich
Nehmen Sie sich eine Auszeit, wenn Sie merken, Sie können Ihre Alarmbereitschaft nicht mehr abschalten. Legen Sie sich hin, sobald Ihr Baby schläft. Nutzen Sie jede Gelegenheit, sich auszuruhen und Ihr Schlafdefizit aufzuholen. Spannen Sie den Partner, Freundinnen oder Großeltern ein, die das Kind für ein paar Stunden betreuen.
Zeit für das Baby
Kümmern Sie sich in den Wachphasen, in denen Ihr Säugling nicht schreit, besonders liebevoll um Ihr Kind. Zum einen können Sie Ihr Kind in diesen Momenten richtig genießen, zum anderen merkt der Säugling: "Meine Mutter ist auch dann bei mir, wenn ich nicht schreie."
Holen Sie sich Hilfe
Schreibaby-Beratungsstellen gibt es in der ganzen Bundesrepublik. Außerdem können Eltern in Baby-Lese-Stunden lernen, kindliche Signale frühzeitig zu bemerken, richtig zu interpretieren und angemessen zu beantworten. Kontaktieren Sie eine Beratungsstelle in Ihrer Nähe.
Mutter und Vater – zwei Menschen, zwei Meinungen
Manche Eltern sind sich in Erziehungsfragen nicht einig. Welche Auswirkungen haben unterschiedliche Meinungen auf das familiäre Klima? Und was tun, wenn Ihr Kind Sie ständig gegeneinander ausspielt?
1. Eltern erzählen
"Es ist Sonntagnachmittag und draußen regnet es. Unsere Tochter Lena (7 J.) und ich sind im Wohnzimmer. Lena spielt. Auf einmal fängt sie an zu quengeln: "Mama, mir ist langweilig. Ich will fernsehen!" "Nein", sage ich, "das wird zu viel, du willst nachher auch noch die Zeichentrickserie anschauen." Im selben Moment härt sie ihren Vater ins Zimmer kommen, rennt auf ihn zu und umschmeichelt ihn: "Papa, ich hab dich lieb. Erlaubst du mir, fernzusehen?" Mein Mann streichelt ihre zersausten Haare und sagt: "Ja, mein Schatz!". Lena ruft: "Siehst du Mama! Papa hat es mir doch erlaubt!". Ich schaue verärgert meinen Mann an und denke im Stillen: Unsere Tochter hat wieder mal das erreicht, was sie wollte."
Renate K. (29 J.)
"Das Zimmer unseres Sohnes Alex (6 J.) ist immer so chaotisch. Ich kann Unordnung nicht ausstehen. Deshalb gibt es bei uns oft Streit. Als ich neulich sein unaufgeräumtes Kinderzimmer sah, bin ich richtig sauer geworden. Ich habe Alex angeschrieen, er solle gefälligst diesen Saustall aufräumen. Mein Mann greift nie in das Geschehen ein. Deshalb beschuldige ich ihn oft: "Kannst du ihn nicht zurechtweisen?! Dich stört das Chaos wohl nie! Er sagt dann immer: "Ich verstehe nicht, wieso du dich immer so aufregen musst. Wenn's ihm zu dreckig wird, räumt er schon von selbst auf!".
Karin L. (34 J.)
2. Was sind Erziehungsprinzipien und Erziehungsstile?
Unter dem Begriff "Erziehungsstil" werden elterliche Handlungsweisen und Wertvorstellungen verstanden. Welchen Erziehungsstil ein Elternteil vertritt, ist von seiner individuellen Wesensart, dem Charakter abhängig. Gewöhnlich unterscheidet man drei Erziehungsstile:
- Demokratischer (= autoritativer) Erziehungsstil
- Permissiver (= laisser-faire oder auch erlaubender) Erziehungsstil
- Autoritärer (= autokratischer) Erziehungsstil
Jeder dieser Stile hat seine eigene Charakteristik - und erzeugt bei Kindern ein jeweils typisches Verhaltensprofil. Man kann sie aus folgenden Erziehungsgrundsätzen ableiten:
Demokratischer Erziehungsstil: "Freiheit in Grenzen"
Eltern ermöglichen Kindern aus den Konsequenzen ihrer Entscheidungen zu lernen. Dabei achten sie darauf, dass Kinder nur so viel Selbstbestimmung zugestanden bekommen, wie sie verantwortungsbewusst ausüben können.
Permissiver Erziehungsstil: "Freiheit ohne Grenzen"
Eltern lassen ihre Kinder tun, was sie wollen, ohne sie daran zu hindern.
Autoritärer Erziehungsstil: "Grenzen ohne Freiheit"
Eltern nehmen in einer stark einschränkenden und strafenden Weise Einfluss auf das Verhalten und die Entwicklung ihrer Kinder.
(nach Schneewind, Freiheit in Grenzen, interaktive CD-ROM, 2003)
Es ist ganz natürlich, dass Eltern unterschiedliche Erziehungsstile haben. Vielleicht favorisieren Sie einen demokratischen Stil und glauben, dass man Kindern erlauben sollte aus den Konsequenzen ihrer Entscheidungen zu lernen? Ihr Partner dagegen ist davon Überzeugt, dass man Kinder alles tun lassen sollte, was ihnen gefällt und vertritt damit den Laisser-faire Stil? Dies bedeutet nicht, dass ein Elternteil besser oder schlechter erzieht. Wie Sie Ihr Kind erziehen, ist Ausdruck Ihrer Wertvorstellungen und Ihrer Persönlichkeit.
3. Erziehungsalltag
Kommt Ihnen folgender Satz "Du lässt dem Kind zu wenig Freiheit!" bekannt vor? Dann könnte dies der Auftakt zu einer Familiendiskussion sein. Gründe hierfür können z.B. Ihre unterschiedlichen Erziehungswerte und Erziehungsziele sein. Aber woran können sich Eltern in einer Zeit orientieren, in der es nicht mehr ein Wertesystem gibt, sondern Dutzende, die sich auch noch ineinander verschränken? Heute hält es jeder anders mit der Erziehung. Verbindliche Richtlinien gibt es nicht mehr. Die Presse spricht von 15% der Kinder, deren Eltern die komplette Kindheit verplanen. Sie lernen Englisch sprechen, Geige spielen oder Ballett tanzen. Es sind Eltern, die ihr Kind für die Leistungsgesellschaft rüsten wollen und damit schon früh beginnen. Für sie spielen Werte, wie Gehorsam, Ehrgeiz und Eigensinn eine große Rolle. Allesamt Wertvorstellungen, die den autoritären Erziehungsstil prügen. Vielleicht gehört Ihr Partner genau dieser Elterngruppe an, die ihre Kinder verplanen und dessen Erziehungsprinzip "Grenzen ohne Freiheit" lautet? Sie dagegen legen Wert auf "Freiheit in Grenzen" und wüssten Ihr Kind lieber mit Gleichaltrigen spielen, anstatt Blockflöte-üben. Vielleicht umschreibt folgender Satz "Wenn Zwei sich streiten, freut sich der Dritte" Ihre familiäre Situation? Wie oft kommt es vor, dass Ihr Kind Sie gegeneinander ausspielt? Kinder haben schnell herausgefunden, bei wem es was zu holen gibt: mehr Taschengeld beim Papa; die Erlaubnis, Zeichentrickfilme zu sehen, bei Mama. Keine gute Voraussetzung für das Familienklima. Wichtig ist, dass sich Eltern vor Kindern nicht über ihre Wertvorstellungen streiten, oder die Kinder als "Parteigenossen" zu gewinnen suchen. Besser ist deshalb, wenn Sie Ihrem Kind gegenüber Einigkeit demonstrieren. Was Mama sagt, gilt für Papa, und umgekehrt. Uneinigkeit kann nämlich bei Ihrem Kind Unsicherheit und mangelndes Vertrauen in elterliche Kompetenzen auslösen. Wenn Sie dennoch keinen gemeinsamen Konsens finden, kann Ihr Kind das ruhig erfahren. Schließlich sollen Sie ja authentisch bleiben. Es muss nur jeweils klar sein, was das Kind letztendlich tun soll. Dabei hilft Ihnen die Einführung familiärer Regeln, Grenzen und Rituale.
4. Neue Wege gehen
a. Kinder verstehen lernen
Fallen Sie Ihrem Partner nicht in den Rücken!
Im ersten Beispiel spielt Lena ihre Eltern absichtlich gegeneinander aus. Weil Mama ihr nicht erlaubt, fernzusehen, bittet sie Papa um Erlaubnis. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass Papa ihr Manches erlaubt, was Mama verboten hat. Lenas Verhalten ist Ausdruck elterlicher Uneinigkeit. Würde der Vater auf Lenas Frage mit "Was hat Mama gesagt?" oder "Da muss ich erst mal deine Mutter fragen" antworten, würde Lena klar werden, dass Papa Mama nicht in den Rücken fallen wird und sie die Eltern nicht gegenseitig ausspielen kann.
b. Sich selbst beobachten Welche Erziehungsgrundsätze haben Sie?
Eine repräsentative Studie des Deutschen Jugendinstituts ergab, dass Aufräumen Konfliktthema Nummer eins im Kinderzimmer ist. Um dieses Streitthema geht es im zweiten Beispiel. Beide Elternteile haben unterschiedliche Vorstellungen von Ordnung. Die Mutter stört ein unordentliches Kinderzimmer. Sie fühlt sich gekränkt und missverstanden, als ihr Mann dem Sohn die Entscheidung überlässt, wann er aufräumt.
Einigen Sie sich auf ein Minimum an Regeln!
Wenn Sie familiäre Unstimmigkeiten vermeiden wollen, sollten Sie mit Ihrem Partner an einem Strang ziehen. Klären Sie mit Ihrem Partner Ihre Erziehungsgrundsätze ab. Stellen Sie sich gemeinsam die Frage, was Sie Ihrem Kind auf den Weg geben möchten und wie Sie Ihre Erziehungsziele konkret im Alltag umsetzen wollen. Einigen Sie sich dann auf Werte, die Sie wirklich tagtäglich leben wollen.
5. Lösungsvorschläge
Überdenken Sie Ihre eigenen Wertvorstellungen.
Unser Wertesystem ist nicht starr. Von Zeit zu Zeit sollten wir es überprüfen. Folgende Fragen sind dabei hilfreich:
- Welche Werte sind mir wichtig?
- Welche Erziehungsziele habe ich?
- Habe ich mich bewusst für diese Werte entschieden?
- Stammen sie aus meiner eigenen Erziehung ab?
- Stimmt mein Wertesystem mit dem Überein, was ich meinem Kind auf den Lebensweg mitgeben möchte?
Fragen Sie Ihren Partner, welche Werte ihm wichtig sind.
Wissen Sie, welche Werte Ihrem Partner besonders wichtig sind? Versuchen Sie ganz in Ruhe herauszufinden, welche Wertvorstellungen Ihr Partner hat. Fragen Sie sich:
- Welche Lebenseinstellung hat mein Partner?
- Welche Werte und Erziehungsziele hat mein Partner?
Finden Sie gemeinsame Familienwerte.
Sie werden wahrscheinlich nicht in allen Werten hundertprozentig mit Ihrem Partner übereinstimmen. Das ist völlig normal. Diskutieren Sie zuerst über Ihre Vorstellungen. Versuchen Sie sich dann auf Werte zu einigen, die Sie gemeinsam vertreten wollen. Fragen, die Ihnen dabei helfen:
- Gibt es Werte, die uns beiden wichtig sind?
- Gibt es Werte, die mir/meinem Partner wichtiger sind?
- Kann ich/mein Partner diese Werte tolerieren?
- Wie können wir unsere Wertvorstellungen unserem Kind vermitteln?
Jeder hat eigene Vorstellungen davon, was für sein Leben wichtig ist. In einer Partnerschaft können Wertvorstellungen so individuell verschieden sein, wie die Charaktere der Eltern unterschiedlich sind. Solange Eltern selbst kein stimmiges Wertesystem haben, können sie ihren Kindern gegenüber keinen eindeutigen Standpunkt einnehmen. Erst wenn Sie sich persönlich klar gemacht haben, welche Werte Sie vertreten, können Sie diese auch mit Ihrem Partner absprechen. Eine so gefestigte Haltung hilft Ihnen im Umgang mit Ihrem Kind; auch in kritischen Situationen.
Wie schütze ich mein Kind vor sexueller Gewalt?
Schätzungen zufolge ist davon auszugehen, dass in Deutschland jedes 4. bis 5. Mädchen und jeder 9. bis 10. Junge von sexueller Gewalt betroffen ist. Was können Eltern tun, um ihr Kind vor sexueller Gewalt zu schützen?
1. Was ist sexueller Missbrauch?
Sexueller Missbrauch ist Gewalt gegen Kinder. Es handelt sich um eine bewusst geplante, oft sorgfältig vorbereitete Tat. Fast immer ist es eine Wiederholungstat. Unter sexuellem Missbrauch versteht man jede sexuelle Handlung, die ein erwachsener Mensch oder ein älterer Jugendlicher an und/oder mit einem Mädchen oder Jungen vornimmt. Dies können Handlungen sein, die der Täter/die Täterin bei dem Kind ausführt oder vom Kind an sich vornehmen lässt oder im Beisein des Kindes an sich selbst ausführt. Sexuelle Gewalt bedeutet, dass ein Erwachsener oder Jugendlicher seine Überlegenheit, seine Machtposition und die Abhängigkeit des Kindes zur Befriedigung seiner eigenen sexuellen und/oder aggressiven Bedürfnisse ausnutzt. Die Anwendungen von körperlicher Gewalt oder Zwang ist nicht notwendige Vorraussetzung, um von sexueller Gewalt zu sprechen. Ein Kind gibt zu sexuellen Handlungen nie sein Einverständnis. Die Verantwortung liegt immer beim Täter. Zum sexuellen Missbrauch gehört es typischerweise, dass der Erwachsene oder Jugendliche das Kind zur Geheimhaltung des Übergriffs verpflichtet. Das Kind wird durch Bedrohung oder Bestechung gezwungen, zu schweigen. Damit wird das sexuell misshandelte Kind einmal mehr sprachlos, wehrlos und hilflos gemacht. Sexueller Missbrauch ist eine Straftat, die mit Freiheitsstrafen bis zu 15 Jahren geahndet wird.
2. Sexuelle Gewalt im sozialen Nahraum
Zärtlichkeiten, gemeinsam Baden, Küssen, Streicheln, Toben oder Kitzeln gehören zu einer liebevollen Erziehung und damit zum alltäglichen Umgang zwischen Eltern und Kindern. Doch egal, wie alt Ihr Kind ist, es wird Ihnen und allen Menschen, die körperlichen Kontakt mit ihm aufnehmen, zeigen, was es mag und was nicht. Diese persönlichen Grenzen des Kindes gilt es sensibel wahrzunehmen, zu respektieren und nicht zu überschreiten. So lässt sich der zärtliche körperliche Umgang zwischen Erwachsenen und Kindern klar von sexueller Gewalt trennen. Nach der Statistik des Bundeskriminalamtes werden jährlich rund 20.000 Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern angezeigt. Die Dunkelziffer dieser Straftaten liegt wesentlich höher. Schätzungen zufolge werden nur fünf bis zehn Prozent der Opfer sexueller Gewalt der Polizei bekannt. Aufgedeckt werden am ehesten die Fälle, in denen ein Fremder der Täter ist. Doch sexuelle Gewalt erleben Kinder vor allem von Tätern und Täterinnen in ihrer nächsten Umgebung, von Menschen, denen sie vertrauen, die sie lieben, von denen sie existentiell abhängig sind: Es sind Väter oder Onkel, manchmal auch Mütter oder Tanten, Nachbarn, Freunde oder Bezugspersonen aus dem pädagogischen Umfeld. Missbraucht werden Kinder jeden Alters, Mädchen und Jungen. Die Täter kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Oft sind die Opfer noch Säuglinge oder Kleinkinder. Die meisten dieser Taten werden nicht bekannt, weil Familienmitglieder sie nicht wahrnehmen wollen, sich dem Schrecklichen nicht stellen können. Oft geschieht dies aus Angst, Ratlosigkeit und/oder Unwissenheit. Erfahrungen aus der Beratungsarbeit mit kindlichen Opfern zeigen, dass vor allem angepasste Mädchen und Jungen missbraucht werden. Seltener handelt es sich bei den Opfern um selbstbewusste Kinder, die von klein auf von ihren Eltern dazu ermuntert wurden, ihrer eigenen Wahrnehmung zu vertrauen und ihre eigenen Interessen auch gegenüber Grenzüberschreitungen von Erwachsenen durchzusetzen.
3. Neue Wege gehen
Die bis vor ein paar Jahrzehnten vorherrschende Erziehungshaltung, dass Kinder Erwachsenen immer zu gehorchen haben, macht diese leichter zu Opfern sexueller Gewalt. Wenn Sie Ihr Kind vor Missbrauch schützen möchten, sollten Sie deshalb vor allem sein Selbstbewusstsein stärken. Kinder mit ihrer Persönlichkeit, ihren Eigenheiten, ihrem eigenen Willen und ihrem Wunsch nach Selbstbestimmung ernst zu nehmen, ist die beste Vorbeugung. Auch bei scheinbar belanglosen Angelegenheiten, wie dem ungewollten Küsschen eines Verwandten oder Freundes, sollten Sie Ihr Kind darin bestärken, seine individuelle Grenze zu ziehen. Missbrauch beginnt mit kleinen Übergriffen!
Sich selbst beobachten
Nehmen Sie den eigenen Willen Ihres Kindes wirklich ernst?
Ihr Kind ist eine eigene Persönlichkeit mit einer eigenen Privatsphäre und diese entspricht nicht eins zu eins der Ihren. Menschen, denen Sie sich nahe fühlen, sind nicht automatisch Menschen, denen sich auch Ihr Kind nahe fühlt. Es gibt zum Beispiel keinen Automatismus, dass Ihr Kind gerne auf dem Schoß von Ihren Freunden oder Verwandten sitzen möchte. Es ist auch nicht unhöflich oder gar ein Zeichen schlechter Erziehung, wenn Ihr Kind den Körperkontakt mit Personen, die Ihnen selbst sehr vertraut sind, ablehnt. Sie sollten sich nicht schämen, wenn Ihr Kind selbstbestimmt "Nein!" sagt, wenn es einen Körperkontakt zu einem anderen Menschen nicht will. Unterstützen Sie es! Kommentare wie "Stell Dich nicht so an!" oder "Mach dem Onkel doch die Freude!" setzen das Kind dagegen unter Druck, brav hinzunehmen, was Erwachsene von ihm erwarten.
Kinder verstehen lernen
Signale erkennen: "Onkel Herbert ist blöd!" oder "Ich will nicht mehr zur Nachbarin!" In den wenigsten Fällen redet ein Kind, das sexuell missbraucht wurde, offen über dieses schreckliche Erlebnis. Oft äußern betroffene Kinder jedoch, dass sie den Kontakt mit der jeweiligen Person ablehnen: "Onkel Herbert ist blöd!", "Zu der Nachbarin möchte ich nicht mehr." oder "Ich will nicht beim Opa übernachten.". Dann sollten Sie Ihr Kind mit offenen Fragen zum Reden ermuntern, indem sie sich z.B. erkundigen, warum das Kind Onkel Herbert blöd findet. Auch wenn Kinder gar nichts sagen, gibt es fast immer verdeckte Hinweise auf sexuelle Gewalt: Manche Kinder werden bedrückt und ziehen sich zurück, andere übernervös und unruhig oder aggressiv. Wenn sich das Verhalten Ihres Kindes ändert, ohne dass Sie irgendeinen Grund dafür finden, sollten Sie genauer hinschauen.
4. Lösungsvorschläge
Zeit zum Reden
Nehmen Sie sich regelmäßig Zeit für Gespräche mit Ihrer Tochter oder Ihrem Sohn, zum Beispiel abends beim Zubettgehen. Versuchen Sie, nichts umzudeuten, sondern bestärken Sie Ihr Kind, der eigenen Wahrnehmung zu vertrauen. Wenn Sie ein solches Ritual etablieren, bei dem Ihr Kind regelmäßig von seinem Tag erzählen kann, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es Ihnen auch seine Probleme und Erlebnisse anvertraut.
Kein Küsschen auf Kommando
Bis heute ist es noch immer üblich, dass - besonders kleine - Kinder ungefragt geküsst oder umarmt werden. Viele Erwachsene nehmen dabei oft gar nicht wahr, dass das Kind sich z.B. abwendet, weil es diese Liebkosung gar nicht möchte. Kinder wissen, welche Gefühle und Berührungen ihnen angenehm sind und welche unangenehm. Unterstützen Sie Ihr Kind in seinem Nein, indem Sie Verwandte und Freunde darauf aufmerksam machen, dass das Kind auf eine Liebkosung mit Unwillen reagiert. "Nun gib dem Onkel doch einen Kuss" wäre eine völlig falsche Reaktion! Viele von uns kennen diese Aufforderung der Eltern noch aus ihrer eigenen Kindheit. Doch Ihren Kindern sollten Sie solche Küsschen auf Kommando unbedingt ersparen!
Umgang mit Geheimnissen
Erklären Sie Ihrem Kind, dass es gute und schlechte Geheimnisse gibt. Gute Geheimnisse machen Freude und sind spannend - schlechte Geheimnisse machen Angst und sind bedrückend. Bestärken Sie Ihr Kind, schlechte Geheimnisse zu erzählen, auch wenn ein Erwachsener es ihm verboten hat. Machen Sie ihm klar, dass dies kein Verrat und kein Petzen ist.
Klären Sie Ihr Kind altersentsprechend auf
Auch Aufklärung ist ein Schutz vor Missbrauch. Nur wenn Ihr Kind weiß, was sexuelle Handlungen sein können, kann es sich dagegen wehren. Doch obwohl Sexualität von einem Tabu zu einem "In-Thema" in den Medien avanciert ist, fällt es uns in keinem Bereich so schwer, wie beim Thema Sexualität, die richtigen Worte zu finden. Hilfe und Unterstützung bieten Aufklärungs-(bilder-)bücher, die Sie dem Alter Ihres Kindes entsprechend aussuchen sollten und gemeinsam lesen können.
Bei konkretem Verdacht
Glauben Sie Ihrem Kind, wenn es von sexuellen Übergriffen erzählt und versichern Sie ihm, dass niemand so etwas mit ihm machen darf. Wenn Sie den Verdacht haben, Ihr Kind oder ein Kind, das Sie kennen, wurde sexuell missbraucht, bedrängen Sie das Kind nicht mit Fragen und vermeiden Sie alles, was das Kind so verstehen könnte, als habe es Schuld an den sexuellen Übergriffen. Es kann sein, dass Sie die Täterin oder den Täter kennen, stellen Sie ihn aber nicht selbst zur Rede - sie oder er wird ohnehin erst mal alles abstreiten oder in ein anderes Licht rücken. Suchen Sie sich professionelle Beratung!
Wie kann ich das Selbstwertgefühl meines Kindes stärken?
Kinder, die ängstlich und unsicher wirken, können leicht Opfer von Hänseleien, Schlägereien oder Missbrauch werden. Wie können Eltern das Selbstwertgefühl ihrer Kinder stärken?
1. Eltern erzählen
„Ich habe den Eindruck, meine Tochter Lisa (3 J.) ist zu schüchtern. Zu Hause sitzt sie meistens schweigend da und malt. Auch die Kindergärtnerinnen sagen, sie sei sehr still. Obwohl ich sie oft frage: „Was hast du denn Kleines? Warum bist du heute wieder so still?“, antwortet sie mir nicht. Enttäuscht sage ich dann: „Diese Art kannst du nur von deiner Oma geerbt haben, die war auch immer so ruhig.“
Oliver W. (34.J.)
„Mein jüngster Sohn David (16 J.) hat schon wieder eine 5 in Mathe geschrieben. Letztes Jahr ist er wegen Mathe fast sitzen geblieben. Dabei habe ich ihm sogar Nachhilfestunden bezahlt. Es ist doch nicht verwunderlich, dass ich ihn neulich schimpfte: „Ich habe ja schon immer geahnt, dass du zu dumm für Mathe bist! Nicht mal Nachhilfestunden können dir helfen. So schaffst du die Versetzung nie!“
Verena S. (36 J.)
2. Was versteht man unter Selbstbild und Selbstwertgefühl?
Das Selbst-Bild eines Menschen spiegelt Überzeugungen und Aussagen wider, die eine Person über sich selbst hat. Das können teilweise ganz objektive Angaben zum Gewicht, oder Größe sein. Kommen zu den objektiven Angaben Bewertungen hinzu, z.B.: „Ich bin zu groß oder zu klein“, werden diese zu Teilen des Selbst-Wertes. Der Selbstwert, das heißt das Bild vom eigenen Wert, sagt aus, in welchem Maße sich ein Mensch in seiner Haut wohl fühlt. Kinder mit einem positiven Selbstwertgefühl haben meist eine positive Lebenseinstellung. Sie sind häufig hilfsbereite, in der Schule erfolgreiche und kontaktfreudige Menschen, die über ein großes Verhaltensrepertoire verfügen. Dieses ermöglicht ihnen, Konflikte angemessen zu lösen und soziale Kontakte zu knüpfen. Im Gegensatz dazu, empfinden sich Kinder mit geringem Selbstwertgefühl oft als nicht liebenswert und glauben, das Leben und die einhergehenden Probleme nicht bewältigen zu können.
Sätze, an denen Sie das positive Selbstwertgefühl Ihres Kindes erkennen:
- Das schaffe ich schon!
- Seht her, wie groß ich bin!
- Beim nächsten Mal klappt es sicher!
Sätze, an denen Sie ein schwaches und negatives Selbstwertgefühl erkennen:
- Das kann ich doch nicht!
- Die anderen sind viel größer als ich!
- Das hat doch keinen Sinn, ich schaffe das nie!
Da das Gefühl für den eigenen Selbst-Wert nicht angeboren ist, sondern von den Erfahrungen im sozialen Umfeld abhängt, können Eltern maßgeblich zur Stärkung des kindlichen Selbstwertgefühls beitragen.
3. Erziehungsalltag
Je hektischer unser Alltag, desto mehr leidet unser familiäres Zusammenleben. Denn auf Alltagshektik reagieren wir mit Stress und aggressiver Kommunikation. Wir rufen „Beeil dich!“, „Wir müssen schnell fertig werden!“ oder „Leg doch einen Zahn zu!“. Wenn es mal nicht so schnell läuft, mahnen wir „Du musst schneller sein!“, „Du bist doch ein hoffnungsloser Trödler!“ oder „Kannst du denn nie …?!“. Die in Eile gesagten Worte haben eine prägende Wirkung. Besonders dann, wenn Kinder immer wieder mit negativen Aussagen über ihr Verhalten konfrontiert werden. Aus tiefenpsychologischer Sicht spielen bei der Entwicklung des kindlichen Selbstwertgefühls die ersten sechs Lebensjahre eine wichtige Rolle. Je mehr Ermutigung und Bestätigung ein Kind von seinen Eltern erfährt, desto stärker entwickelt sich sein Selbstwertgefühl. Dabei kommt es nicht auf das Ergebnis an, sondern die Bemühungen des Kindes sind entscheidend. Werden nur die Leistungen gelobt, kann das Kind das Gefühl bekommen, dass selbst, wenn es sich bemüht, sein Bestes zu geben, dies nicht gut genug ist. Wird das Kind für den Versuch und die Verbesserung gelobt, wird es motivierter sein, auch schwierigere Aufgaben weiterzuführen. Wenn das Verhalten des Kindes häufig als falsch angesehen, abgelehnt und/oder bestraft wird, wird es sich selbst auch ablehnen. Als Elternteil sollte man sich deshalb fragen, welche Kommunikations- und Beziehungsmuster in der Familie vorherrschen.
4. Neue Wege gehen
a. Kinder verstehen lernen
Unterstützen Sie Ihr Kind beim Aufbau eines positiven Selbstwertgefühls!
Im ersten Beispiel macht Lisas Schüchternheit ihrem Vater Sorgen. Wahrscheinlich bekommt sie deshalb auch immer wieder gesagt, sie solle mehr aus sich herausgehen. Durch die ständigen Mahnungen wird sie ihren Charakterzug als unangenehm und störend empfinden. Und da sich niemand unter solchen Umständen in der eigenen Haut wohl fühlen würde, wird auch sie Schwierigkeiten haben ein positives Selbstwertgefühl zu entwickeln. Lernen Sie das Wesen Ihres Kindes wertschätzen! Um Lisa beim Aufbau eines positiven Selbstwertgefühls zu unterstützen, könnte der Vater seiner Tochter das Gefühl geben, dass er sie lieb hat und sie schätzt, so wie sie ist. „Lisa, ich habe dich lieb und freue mich, dass du so schön gemalt hast. Magst du mal mit mir das Bild anschauen und mir erzählen, was du gemalt hast?“. Durch die Aufmerksamkeit und Anerkennung des Vaters fühlt sich Lisa angenommen und lernt, auch sich selbst wertzuschätzen.
b. Sich selbst beobachten
Probieren Sie alternative Verhaltensweisen aus!
David hat eine 5 in Mathe geschrieben und das, obwohl ihm seine Mutter Nachhilfestunden bezahlt hat. Es ist ganz selbstverständlich, dass Davids Mutter im solchen Augenblick aus der Haut fahren könnte. Doch wenn sie nicht Gefahr laufen will, das wackelige, sich in der Entwicklung befindende Selbstwertgefüge ihres Kindes zu beschädigen, könnte sie z.B. so reagieren: „Ich glaube, du bist selbst nicht froh über die 5 in Mathe, oder? Liegt es daran, dass der Nachhilfelehrer dir den Stoff nicht vermitteln konnte? Soll ich vielleicht mit dir zusammen lernen? Ich denke, du könntest eine bessere Note schreiben. Hast du eine Idee was dir noch helfen könnte, deine Noten zu verbessern?“. Auf diese Weise könnte Davids Mutter das durch die schlechte Zensur beeinträchtigte Selbstwertgefühl ihres Sohnes ein wenig aufbauen. Ihr Glaube daran, dass David eine bessere Note schreiben könnte, stärkt Davids Selbstwertgefühl zusätzlich.
5. Lösungsvorschläge
Sie fragen sich sicherlich, was Ihr Kind braucht, um ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln. Es sind nicht immer die großen Liebesbeweise, die es stärken. Es sind vielmehr die kleinen Aufmerksamkeiten, die alltäglichen Vertrauensbeweise und die scheinbar nebensächlichen Gesten, die Kinder als wertschätzend erleben.
Zeigen Sie Ihrem Kind, dass Sie es lieben.
Für die Entwicklung Ihres Kindes ist es wichtig, dass es von Anfang an spürt, dass Sie es lieben. Wenn ein Kind geliebt wird, fällt es ihm leichter, sich selbst zu lieben und Liebe zu geben. Elterliche Liebe findet Ausdruck in Worten, Gesten und Taten. Beim Toben, Kuscheln und Vorlesen. Überlegen Sie, wie in Ihrer Familie Liebesbeweise aussehen. Zeigen Sie Ihrem Kind Zuneigung indem Sie es z.B. in den Arm nehmen und ihm sagen „Ich hab dich lieb. Ich bin froh, dass du da bist.“
nach Honkanen-Schoberth, Starke Kinder brauchen starke Eltern. Der Elternkurs des Deutschen Kinderschutzbundes, 2002;nach Sanders, Markie-Dadds, Turner, Positive Erziehung, 2003
Nehmen Sie Ihr Kind an, so wie es ist.
Wenn sich ein Kind Anerkennung und Aufmerksamkeit stets erst verdienen muss, wird es sich als Persönlichkeit nicht angenommen fühlen. Es wird wahrscheinlich nie das Gefühl entwickeln, sich selbst mit all seinen Stärken und Schwächen akzeptieren zu können. Sie können Ihrem Kind auf unterschiedliche Weise Anerkennung und Aufmerksamkeit schenken. Ein Lächeln, ein Zuzwinkern, eine Berührung auf der Schulter oder einfache Gesten, wie z.B. ein freudiges „Daumen hoch“ können dem Kind Anerkennung signalisieren. Auch einfaches Zuschauen ist eine Form der Aufmerksamkeit, die Kinder häufig sehr genießen und die ihnen signalisiert, dass ihre Eltern sich für sie interessieren. Wenn Sie Ihr Kind so annehmen, wie es ist, mit all seinen Stärken und Schwächen, fördern Sie den Glauben Ihres Kindes an sich selbst und dadurch auch das Selbstvertrauen.
Fördern Sie Ihr gegenseitiges Vertrauen.
Kinder brauchen Vertrauen, dass ihre Eltern sich um sie kümmern, sie versorgen und ihnen immer zur Seite stehen. Deshalb ist es für Ihr Kind hilfreich, wenn Sie versuchen, regelmäßig während des Tages kurze Zeitspannen – bereits einige Minuten reichen häufig aus – mit ihm zu verbringen. Wenn Sie es in Aktivitäten einbeziehen und für Ihr Kind da sind, wenn es Sie braucht, gibt ihm das Sicherheit. Wenn Eltern ihren Kindern Vertrauen schenken, lernen Kinder, sich selbst zu vertrauen. Leiten Sie Ihr Kind an, Dinge alleine zu tun. Wenn es etwas alleine macht, lernt es, wozu es fähig ist. Sollte einmal etwas nicht funktionieren, unterstützen Sie es und ermutigen Sie es, Dinge auch weiterhin auszuprobieren. Erlauben Sie Ihrem Kind gewisse Risiken einzugehen und zeigen Sie ihm, dass Sie an es glauben. In einer vertrauensvollen Beziehung kann jeder so sein wie er ist, ohne belächelt oder verurteilt zu werden. Versuchen Sie deshalb, Ihr Kind ernst zu nehmen, auch wenn Sie anderer Meinung sind. Sätze, die mit „Findest du nicht auch…?“ beginnen, sind hilfreich, um mit Ihrem Kind ins Gespräch zu kommen.
Loben Sie Ihr Kind.
Kinder brauchen das Gefühl, dass Eltern ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten anerkennen. So sind z.B. Kinder von Eltern, die an den schulischen Erfolg ihrer Sprösslinge glauben, häufig auch erfolgreicher, als Kinder an deren Fähigkeiten Eltern zweifeln. Lobende und anerkennende Worte sind der schnellste Weg, um das Selbstwertgefühl Ihres Kindes zu stärken. Loben Sie Ihr Kind wenigstens einmal am Tag. Sprechen Sie über Dinge, die Ihr Kind gut macht, anstatt nur seine Schwächen zu kritisieren. Bevor Sie über Schwächen reden, sprechen Sie zunächst über eine Stärke. Wichtig ist, dass Sie die Bemühungen Ihres Kindes anerkennen. D.h. Loben Sie Ihr Kind auch dann, wenn ihm was nicht gelungen ist; allein dafür, dass es den Versuch unternommen hat.
Kommunizieren Sie offen und fair.
Besonders wichtig für die Entwicklung des Selbstwertgefühls ist ein offener und fairer sprachlicher Umgang mit dem Kind. Sie sollten deshalb in Ihrem Alltag Ironie und Sarkasmus vermeiden. Kein Kind wird verstehen, was Sie mit „Das hast du ja prima hingekriegt“ meinen, wenn es etwas falsch gemacht hat. Versuchen Sie auch das Gesagte mit Ihrer Haltung und Ihren Gesten abzustimmen. Es wird Ihr Kind verunsichern, wenn Sie mit einem traurigen Lächeln sagen „Ich freue mich …“.
nach Suer, Selbstbewusstsein der Kinder stärken. Das Online-Familienbuch, 2004
Fördern Sie die Selbsteinschätzung Ihres Kindes.
Es ist wichtig zu lernen, sein eigenes Handeln einzuschätzen und zu schauen, was man gut kann und wo man Unterstützung benötigt. Ermuntern Sie Ihr Kind, an das zu denken, was es gut kann und was es an sich mag. Verdeutlichen Sie ihm, dass es nicht so sein muss wie alle anderen und dass es gut ist, dass es Menschen mit unterschiedlichen Talenten gibt. Wenn Ihr Kind einen Fehler macht, vermeiden Sie, es zu schimpfen und zu tadeln, sondern unterstützen Sie es, bei seinen Überlegungen, wie es den Fehler zukünftig vermeiden könnte.
nach Markie-Dadds, Turner, Sanders, 2000 Kleiner Helfer. Förderung des Selbstbewusstseins.
Wie kann ich meinem Kind helfen, Konflikte zu lösen?
Gewalt hat in unserer Gesellschaft in den letzten Jahren spürbar zugenommen. Nicht nur unter Erwachsenen. Bereits in Kindergärten und Schulen geht es täglich härter zu. Wie können Eltern ihren Kindern helfen, Konflikte gewaltfrei zu lösen?
1. Eltern erzählen
"Gestern war ich mit meinem Sohn Valentin und dessen Freund Marc in der Bücherei. Die beiden Jungs gingen in die Ecke mit den Dinosaurier-Büchern und stöberten herum. Auf einmal hörte ich, wie ein Streit zwischen beiden immer lauter wurde. Dann flitze Valentin mit einem Buch unter dem Arm an mir vorbei zur Ausleihtheke. "Was ist hier los?", stellte ich ihn zur Rede. Marc kam dazu und berichtete weinend, dass ihm Valentin das Buch aus der Hand gerissen habe. Valentin entgegnete, er habe das Buch zuerst entdeckt. "Sich mit Gewalt durchsetzen, das kann ja wohl keine Lösung sein", erklärte ich ihm. Ich nahm Valentin das Buch aus der Hand und stellte es zurück. "Wenn Ihr euch nicht einigen könnt, dann bekommt das Buch eben keiner von euch", entschied ich für die beiden Streithähne.
Sabine H. (38 J.).
"Unsere Tochter Maria und unser drei Jahre jüngerer Sohn Max saßen am Sonntag vor dem Fernseher, dem einzigen in unserer Wohnung. Maria wollte einen Kinderspielfilm sehen, Max die "Sendung mit der Maus". Prompt gab es Zoff. Der Kleine kam zu mir in die Küche und beschwerte sich bitterlich. Ich wollte das Kochen nicht unterbrechen und schickte ihn mit der Bemerkung zurück, dass er sich selbst überlegen müsse, wie er sich mit seiner Schwester einig werde. In der Küche hörte ich, wie Maria - als ihr kleiner Bruder maulend zurückkam - einfach den Ton lauter drehte, ihn aus dem Zimmer schob und die Tür schloss.
Bernd G. (32 J.)
2. Wie entsteht Gewalt unter Kindern?
Die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte haben die Lebensbedingungen für die meisten von uns instabiler gemacht. Viele Eltern schwanken in ihren Vorstellungen über die Werte und Normen, die sie ihren Kindern vermitteln möchten. Für sie ist es schwieriger geworden, den richtigen Erziehungsweg zu finden. Kinder spüren diese Verunsicherung. Sie haben es dadurch schwerer, eine eigene Identität zu finden und ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Gerade Kinder mit wenig Selbstwertgefühl neigen dazu, spannungsreiche Konflikte mit Gewalt zu lösen. Vor allem dann, wenn sie in ihren Familien selbst erfahren haben, dass man sich mit Gewalt besser durchsetzen kann. Grundsätzlich gehören aggressive Gefühle - wie Wut, Zorn und Ärger - zum Repertoire eines jeden Menschen. Ein Verhaltensdefizit liegt erst dann vor, wenn Menschen diese Gefühle immer wieder in aggressivem Verhalten ausdrücken, weil sie nicht gelernt haben, anders damit umzugehen.
Andauerndes aggressives Verhalten weist nach Meinung vieler Psychologen darauf hin, dass die Beziehungen des Kindes innerhalb der Familie und/oder im Freundeskreis gestört sind, es hat das Gefühl, zu kurz kommen. Ein aggressives Kind weist seine Umgebung mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln darauf hin: In meiner Welt ist etwas nicht in Ordnung! Offene physische Aggressionen zeigen Jungen häufiger als Mädchen. Bei Mädchen erleben wir dagegen häufiger indirekte Formen aggressiven Verhaltens, wie verbale Verletzungen, Verleumdungen, Beleidigungen. Ob Mädchen aufgrund ihrer genetischen Anlagen weniger aggressiv sind, ist in der empirischen Forschung umstritten. Analysiert man die Persönlichkeit und die Biographie einzelner heranwachsender Gewalttäter, so stellt sich heraus, dass mehrere Ursachen für ihr Verhalten verantwortlich sind. Häufig werden an diesen Jugendlichen folgende Merkmale beobachtet:
- Mangel an Einfühlungsvermögen
- Kommunikationsschwierigkeiten
- Minderwertigkeitsgefühle
- eigene Vergangenheit als Opfer von Gewalt, z.B. frühkindliche Misshandlung
- kein intaktes Familienleben
- Versagen im Schul- und Ausbildungssystem
- exzessiver Konsum von medialer Gewalt
3. Erziehungsalltag
Viele Kinder sind heute schnell bereit, Konflikte mit Gewalt zu lösen. Die Formen von bzw. Anlässe für Gewalt haben sich verändert: Gewalt unter Heranwachsenden ist brutaler und roher geworden, die Hemmschwellen sind offenbar gesunken, und die Anlässe für Gewalttätigkeit nichtiger geworden. Laut Bundeskriminalamt (BKA) hat sich die Zahl der heranwachsenden Tatverdächtigen in Bezug auf Delikte, bei denen Gewalt eine Rolle spielt, von 1987 bis 2000 in der Altersgruppe der Kinder unter 14 Jahren fast verdreifacht. In der Altersgruppe der Jugendlichen zwischen 14 und 18 hat sie sich mehr als verdoppelt. Insgesamt werden heute knapp zehn Prozent der männlichen Jugendlichen und rund zwei Prozent der weiblichen Jugendlichen als gewalttätig eingeschätzt. Konflikte sind Bestandteil des Zusammenlebens der Menschen. Kein Tag, an dem Eltern, ErzieherInnen und Lehrkräfte nicht Konflikte mit Kindern und Jugendlichen austragen oder hinzugezogen werden, wenn Kinder und Jugendliche untereinander Streit haben. Oft fehlt den Beteiligten jedoch die Zeit, sich wirklich auf eine solche Auseinandersetzung einzulassen. Erwachsene neigen dann dazu, eine "schnelle Lösung" zu suchen und dem Kind die Problemlösung "abzunehmen", damit es rechtzeitig zur Schule kommt oder das Mittagessen nicht kalt wird, damit der Schulunterricht nicht zu lange gestört oder der Mittagsschlaf der anderen Kindergartenkinder nicht beeinträchtigt wird. Oft vermeiden wir Konflikte auch, weil die Angst besteht, sie könnten eskalieren.
4. Neue Wege gehen
Positiv betrachtet beinhaltet fast jeder Konflikt auch eine Chance. Streit und Probleme regen dazu an, unsere bisherigen Verhaltensweisen zu überprüfen und neue Sichtweisen und Einstellungen zu suchen und auszuprobieren. Werden Kinder in diesem Sinne motiviert und unterstützt, Konflikte selbst zu lösen, fördert das ihre seelische Entwicklung und ihr soziales Lernen. Prof. Manfred Cierpka: "Ratschläge und Empfehlungen sollten Sie Ihrem Kind nur geben, wenn es eine Informationsfrage stellt oder etwas Neues lernt. Wenn keine Gefahr droht, sollten Sie bei allen anderen Problemen versuchen, dem Kind die Lösung zu überlassen."
a. Sich selbst beobachten
Helfen Sie Ihrem Kind, Konflikte selbst zu lösen.
Egal, ob in einer Bücherei, im Supermarkt oder beim Abendessen mit Freunden - es gibt viele Situationen, in denen wir darauf bedacht sind, einen Streit nicht eskalieren zu lassen. Aus Angst, die anderen könnten sich gestört fühlen. Da liegt es nahe, dass Sie die Konfliktlösung für Ihr Kind übernehmen, wie im Fall der beiden Jungs in der Bücherei, der in unserem Beispiel geschildert wird. Was spricht dagegen, dass Sie mit den beiden Kindern kurz aus der Bücherei herausgehen? Draußen könnten Sie die beiden danach fragen, wie genau ihr Konflikt entstanden ist und welche Vorschläge sie selbst haben, um das Problem zu lösen. (siehe Lösungsvorschläge)
b. Kinder verstehen lernen.
Seine eigene Position vertreten können, macht Kinder stark!
Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich mit einer Ihnen überlegeneren Person im Konflikt und der/die andere ist einfach stärker als Sie. Wie die ältere Schwester von Max in unserem zweiten Beispiel. Natürlich würden Sie versuchen, sich Hilfe zu holen! Viele Eltern versuchen das kleinere Geschwisterchen in einer solchen Situation einfach abzulenken. Das ist aber auch keine gute Lösung, denn beim nächsten Konflikt wäre das Kind wieder auf Sie angewiesen. Stark und selbstbewusst wird ein Kind dadurch nicht! Wenn Sie sich Zeit nehmen, könnten Sie den Kindern dabei helfen, ihren Konflikt selbst zu lösen. Leiten Sie die Kinder zu einem Gespräch an, in dem das große und das kleine Geschwisterkind dem jeweils anderen seine Wünsche erzählt und beide sich darüber austauschen, wie ihre Interessen ausgeglichen werden könnten (siehe Lösungsvorschläge). Wenn sie das ein paar Mal geübt haben, finden Ihre Kinder beim nächsten Konflikt eher einen Weg, selbst damit umzugehen, ohne Gewalt anzuwenden.
5. Lösungsvorschläge
Das Präventions-Programm FAUSTLOS schlägt eine klare Abfolge von fünf Problemlöseschritten vor, an denen sich Eltern und Kinder, wie an einem "roten Faden", orientieren können. Das Ziel besteht darin, zu lernen für einen Moment die eigenen Gefühle außer Acht zu lassen und sich in den anderen hineinzuversetzen. Das ist die Grundlage dafür, eine möglichst gerechte Lösung zu finden, mit der die Konfliktparteien zufrieden sein können. Die fünf Schritte können in Konfliktgesprächen zwischen Ihnen und Ihrem Kind, aber auch zwischen Ihrem Kind und anderen Kindern, angewendet werden. Je öfter Sie mit diesem "Fahrplan" nach einer Lösung suchen, desto stärker wird das Vorgehen verinnerlicht. Und denken Sie daran: Sie sind ein Vorbild für Ihr Kind! Wenn Sie in eigenen Konfliktsituationen mit dem folgenden Fragenkatalog einen "roten Faden" vorgeben, wird es für Ihr Kind selbstverständlich sein, sich daran zu orientieren.
1. Schritt: Das Problem sachlich beschreiben!
Auch wenn das Problem in Ihren Augen nicht der Rede wert ist, sollten Sie es ernst nehmen. Gemeinsam mit dem Kind oder den am Konflikt beteiligten Kindern gilt es im Gespräch herauszufinden: Wer hat das Problem? Wessen Wünsche oder Bedürfnisse sind enttäuscht worden? Wenn Sie selbst am Konflikt beteiligt sind, sollten Sie auch Ihre eigenen Bedürfnisse nennen! An welchen Worten oder Taten oder Gesten des Gegenübers hätten Sie oder Ihr Kind erkennen können, dass er/sie ein Problem hat? Wichtig ist: Alle Beteiligten sollten versuchen, die Problemlage völlig frei von Beschuldigungen zu beschreiben!
2. Schritt: Viele Lösungen sammeln!
Nun dürfen die Konfliktparteien so viele Lösungsmöglichkeiten wie denkbar zusammentragen - und zwar ohne sie gleich zu bewerten! Positive oder negative Kommentare sind in dieser Phase streng verboten. Das ist die Bedingung dafür, dass Sie und Ihr Kind auf Lösungen kommen, die Ihnen sonst vielleicht nicht so schnell über die Lippen kämen. Hier darf jeder seine Phantasie spielen lassen!
3. Schritt: Die Lösungen bewerten!
Erst jetzt geht es darum, sich die möglichen Konsequenzen jeder Lösung vorzustellen: Für wen ist die Lösung attraktiv? Hat die Lösung negative Nebenwirkungen? Ist sie ungefährlich? Wie fühlen sich die Anderen dabei? Ist sie fair? Wird sie funktionieren? Je konkreter Sie sich die Konsequenzen für den Alltag ausmalen, desto leichter fällt Ihnen und allen Beteiligten der nächste Schritt.
4. Schritt: Sich für eine Lösung entscheiden!
Auf der Grundlage der Informationen, die Sie in Schritt drei zusammengetragen haben, muss nun eine Entscheidung fallen. Schön wäre es, wenn allen Beteiligten bewusst wird, dass es keine absolut richtigen Antworten gibt, sondern jede Lösung ein Kompromiss ist. Und: Eine Lösung ist nur dann gut, wenn beide Seiten sie akzeptieren können. Um der Lösung ihre Totalität zu nehmen, können Sie auch einen Zeitpunkt vereinbaren, bis zu dem sie ausprobiert werden darf.
5. Schritt: Die Lösung überprüfen!
Nicht alle Lösungen funktionieren in der Praxis so, wie wir es uns in der Phantasie ausmalen. Manche Lösungen funktionieren nur für kurze Zeit und dann nicht mehr. Wichtige Problemlösungen sollten immer wieder auf ihre Gültigkeit hin überprüft werden. Kommt einer der Beteiligten zu dem Schluss, dass die Lösung nicht gut ist, gilt es gemeinsam noch einmal in den Prozess einzusteigen und nach einer Alternative zu suchen.
Mobbing – Wenn Schule oder Kindergarten zur Hölle wird
An deutschen Schulen wird etwa jedes zehnte Kind ernsthaft gemobbt. Die Opfer werden gehänselt, beschimpft oder isoliert. Sie können dauerhafte seelische und manchmal auch körperliche Schäden davontragen. Doch wie erkennt man Mobbing rechtzeitig? Und was können Eltern dagegen tun?
1. Eltern erzählen
„Mir ist aufgefallen, dass sich das Verhalten meiner Tochter Lisa (12 J.) seit ihrem Schullandheimaufenthalt verändert hat. Sie war wie ausgewechselt. Früher offen und fröhlich, war sie nun verschlossen und ängstlich. Sie klagte ständig über Bauchschmerzen und aß zu wenig. Nach langem Bohren erfuhr ich dann, dass ihre beste Freundin Nina im Schullandheim Lügen über sie verbreitet hat. Seitdem spielt sie sie in der Schule regelmäßig gegen andere Mitschüler aus. Ich verstehe das nicht. Sie waren doch die besten Freundinnen.“
Katharina L. (39 J.)
„Auf dem Weg nach Hause traf ich neulich einen Bekannten. Er erzählte mir, dass seine Frau beim Abholen ihres Sohnes vom Kindergarten gehört hätte, wie mein Sohn Markus (5 J.) von anderen Jungs aus dem Kindergarten gehänselt und beschimpft wurde. Eine Kindergärtnerin war gerade nicht in der Nähe. Seine Frau hatte zwar die Jungs zurechtgewiesen; den Eindruck, dass sie aufhören würden, hatte sie nicht. Markus ist von Natur aus eher zurückhaltend aber freundlich und hilfsbereit. Seit einiger Zeit ist er jedoch schweigsamer als früher. Er schläft schlecht und wirkt richtig unglücklich. Ich glaube, die Hänseleien haben nicht aufgehört. Deshalb werde ich mir jetzt mal die Jungs vorknüpfen!“
Andreas Z. (36 J.)
2. Was bedeutet Mobbing?
Der Begriff „Mobbing“ stammt aus dem Englischen (mob = Pöbel, mobbish = pöbelhaft) und bedeutet „jemanden anpöbeln“ oder „fertigmachen“. Mobbing ist eine Form von offener und/ oder versteckter Gewalt gegen Personen über einen längeren Zeitraum hinweg, mit dem Ziel diese sozial auszugrenzen. Dabei kann es sich um verbale und/oder körperliche und/oder seelische Gewalt handeln. Mobbing ist kein Problem, das auf die Erwachsenenwelt beschränkt bleibt – auch unter Kindern wird oft und viel gemobbt. Mobbing ist an deutschen Schulen ein unterschätztes und viel schwerwiegenderes Problem als allgemein bekannt. Oft bleibt Mobbing von Lehrern und Eltern unentdeckt. Unterdessen müssen viele Kinder mehrmals in der Woche Attacken über sich ergehen lassen. Der nachfolgende Text bezieht sich auf den Bereich des Mobbings in der Schule, innerhalb des Klassenverbands. Dies heißt aber nicht, dass Mobbing von Lehrern gegenüber Schülern oder von Schülern gegenüber Lehrern weniger bedeutsam ist.
Was bedeutet Mobbing in der Klasse?
Mobbing kommt vor allem in gefügten, nicht frei gewählten Gruppen innerhalb hierarchisch organisierter Systemen vor. Schulklassen sind also in besonderem Maße dafür anfällig. Es ist ein System gegenseitiger Wechselwirkungen, dem weder Opfer noch Täter einfach so entkommen können.
aus Schäfer, M., Mobbing – Gruppenaggression im Klassenzimmer und seine Wirkung auf Kinder und Jugendliche, Department für Psychologie, LMU
Von Mobbing gegenüber Mitschülern wird gesprochen, wenn ein Mitschüler oder eine Mitschülerin immer wieder gezielt über einen längeren Zeitraum von einem oder mehreren MitschülerInnen fertig gemacht wird. Die Opfer werden absichtlich aus dem Klassenverband ausgegrenzt und können dabei körperlich angegriffen, unfair behandelt, erpresst oder mit unangebrachten Bemerkungen verletzt werden. Wichtig zu wissen, ist, dass Mädchen und Jungen unterschiedliche Taktiken beim Mobbing wählen. Jungen neigen eher dazu, direkt und aggressiv vorzugehen. Sie hänseln, drohen, und schikanieren. Mädchen dagegen mobben ihr Opfer häufiger indirekt. Sie verbreiten Gerüchte, schädigen den Ruf und plaudern Geheimnisse aus. Opfer des indirekten Mobbings sind nicht selten ehemalige Freundinnen. (aus www.kindernetz.de)
Jedes Kind kann Opfer werden!
Neueren Untersuchungen zufolge, spielen seelische und körperliche Merkmale wie „Introvertiertheit“ oder „rotes Haar“, beim Mobbing keine große Rolle: Ein sozial zurückgezogenes Kind mit auffälligen roten Haaren kann aufgrund anderer Fähigkeiten in der Klasse hoch angesehen sein. Dagegen kann ein sozial kompetentes Kind in einer ungünstigen Klassensituation leicht zum Opfer werden. Zu einer Opferrolle trägt vielmehr die Position des Kindes im sozialen Gefüge der Klasse bei. Wichtig dabei ist, welche Rolle das Kind in der Klasse zugeteilt bekommt.
aus Schäfer, M., Mobbing – Gruppenaggression im Klassenzimmer und seine Wirkung auf Kinder und Jugendliche, Department für Psychologie, LMU
Mobbing hat viele Gesichter
Die Folgen von Mobbing können gravierend sein. Experten haben typische Verhaltensweisen zusammengestellt, die bei Mobbing-Opfern beobachtet wurden. Kinder, die in der Schule gemobbt werden,
- bringen beschädigte Schulsachen nach Hause,
- „verlieren“ ihr Taschengeld,
- haben kaum oder keinen Kontakt zu Schulkameraden,
- nehmen ungern am Sportunterricht teil,
- kriegen plötzlich schlechtere Noten,
- leiden oft an Kopf- oder Bauchweh, Appetitlosigkeit,
- ziehen sich in sich selbst zurück,
- erfinden oft Ausreden, um bloß nicht in die Schule gehen zu müssen
- erscheinen oft besorgt, können sich nur schwer konzentrieren, schlafen schlecht und haben oft Albträume;
(aus www.kindernetz.de) Wenn Sie ein oder mehrere dieser Verhaltensweisen an Ihrem Kind beobachten, bedeutet dies natürlich nicht automatisch, dass Ihr Kind gemobbt wird. Eines ist aber sicher: Sie sollten diese Alarmsignale ernst nehmen.
3. Erziehungsalltag
In den letzten Wochen wurde ein Fall an einer Münchener Grundschule bekannt, in der ein Neunjähriger offenbar wochenlang von seinen Mitschülern gehänselt und geschlagen wurde. Doch wie konnte es so weit kommen? Warum haben Lehrkräfte und Eltern nicht rechtzeitig eingegriffen? Häufig sind Eltern ratlos wenn ihre Kinder gemobbt werden. Die Täter oder die Täterin versteht es ausgezeichnet die Umgebung zu täuschen. Er oder sie dreht es so hin, dass die Lehrkraft erst hinsieht, wenn das Opfer zurückschlägt. Laut internationalen Studien wissen 50 Prozent der Eltern nichts von den Mobbing-Attacken, denen ihr Kind ausgesetzt ist. Die Gemeinheiten geschehen heimlich auf dem Heimweg und sind nicht auf den ersten Blick erkennbar. Eltern bleibt nur das Gefühl, der sichere Instinkt, dass ihrem Kind etwas fehlt. Zu alldem erzählen Kinder, die gemobbt werden nur selten von ihren Ängsten. Sie schweigen, suchen die Schuld bei sich und entwickeln schließlich ein negatives Selbstbild. Um zu erkennen, ob ihr Kind gemobbt wird, sollten Eltern ihr Kind beobachten. Wenn es keine einleuchtende Erklärung für die zerrissene Kleidung, die blauen Flecke, Schlaflosigkeit und Bauchschmerzen gibt, sollten bei Eltern die Alarmglocken läuten. (aus www.kindernetz.de) Kinder, die gemobbt werden, sind auf Hilfe von außen angewiesen. Was Sie tun können, um Ihrem Kind zu helfen, erfahren Sie im nächsten Kapitel.
4. Neue Wege gehen
a. Kinder verstehen lernen
Nehmen Sie die Warnsignale ernst! Geben Sie Ihrem Kind Rückendeckung!
Lisa leidet sehr unter den schulischen Schikanen. Sie hat Angst, ihre Freundin zur Rede zu stellen. Sie befürchtet dadurch ihre Freundin und den Kontakt zu anderen Mitschülern endgültig zu verlieren. Ihre Gefühle sind zwiespältig: Einerseits möchte sie ihre Freundin behalten, andererseits möchte sie, dass die Hänseleien aufhören. All das führt dazu, dass sie sich abkapselt und zurückzieht. Ihre Mutter erkennt die Warnsignale: Sie bleibt hartnäckig und forscht nach der Ursache ihrer Veränderung. Schließlich spricht sie sie direkt auf ihre Appetitlosigkeit an. Erst nach einer Weile öffnet sich Lisa und erzählt von den Schikanen ihrer Freundin. Ihre Mutter glaubt ihr. Sie macht ihr keine Vorwürfe, sie hätte sich falsch verhalten. Lisa bekommt Rückhalt von ihrer Mutter und kann gemeinsam mit ihr überlegen, welche die besten Kontaktpersonen sind, die sie als erstes ansprechen könnten und von denen sie Hilfe und Unterstützung erwarten können.
b. Sich selbst beobachten Reagieren Sie nicht unüberlegt! Sprechen Sie mit Fachkräften über Ihren Verdacht!
Markus Vater, Andreas, hat zwar die richtigen Schlüsse aus der Zurückgezogenheit seines Sohnes gezogen. Die Wut auf die Täter verleitet ihn jedoch zu einer kurzfristigen Überreaktion: Er will sich die Täter „mal vorknüpfen“. Eltern sollten bei Mobbing- Verdacht nicht vorschnell mit den Tätern Kontakt aufnehmen. Das zeigt den "Mobbern", dass sich Markus nicht wehren kann – Andreas würde damit die Position seines Sohnes schwächen. Aus Rache könnten die anderen Kinder Markus noch mehr mobben. Auch die Eltern der Mobber sind nicht die richtigen Ansprechpartner: Sie werden ihre Kinder schützen wollen und das Fehlverhalten ihrer Kinder auf diese Weise indirekt unterstützen. Andreas sollte die Kindergärtnerinnen oder die Kindergartenleitung auf seinen Verdacht ansprechen. Der Kindergarten ist gesetzlich zum Handeln verpflichtet, um das Wohl des Kindes zu schützen.
5. Lösungsvorschläge
Handeln Sie schnell! Wenn Sie vermuten, dass Ihr Kind gemobbt wird, sollten Sie schnell aber überlegt handeln. Mobbingsituationen, die sich erst einmal verfestigt haben, sind schwer aufzulösen. Zu Ihrer Unterstützung können Sie sich zusätzlich an eine Beratungsstelle wenden. Die Adressen einer Beratungsstelle in Ihrer Nähe finden Sie hier.
Halten Sie zu Ihrem Kind!
Ihr Kind braucht jetzt viel Aufmerksamkeit und Zuwendung. Dennoch sollte das Thema Mobbing nicht zum Hauptgesprächsstoff in Ihrer Familie werden. Stattdessen sollten Sie Ihrem Kind vermitteln, dass es an den Übergriffen nicht selbst schuld ist. Auch Belehrungen helfen in dem Fall nicht weiter. Sätze wie „Du solltest mehr aus dir herausgehen, dann würden sie schon aufhören.“, vermitteln Ihrem Kind den Eindruck, es sei selbst schuld an den Übergriffen.
Unterstützen Sie Freundschaften außerhalb der Schule!
Um das geschwächte Selbstvertrauen Ihres Kindes zu stärken, sollten Sie ihm neue Freizeitmöglichkeiten aufzeigen oder die vorhandenen stärken. Bieten Sie ihm Möglichkeiten an, positive Erfahrungen mit Gleichaltrigen zu machen. Unterstützen Sie Freundschaften und soziale Kontakte außerhalb der Schule.
„Nein-sagen“ lernen!
Durch die Mobbing-Attacken wurde das Selbstvertrauen Ihres Kindes geschwächt. Die wichtigste Aufgabe der Eltern besteht deshalb darin, das Kind soweit zu stärken, dass es sich selbst wehren kann und ein größeres Selbstvertrauen gewinnt. Ihr Kind muss lernen „Nein!“ zu sagen.
Dokumentieren Sie die Mobbingsituation!
Mobbingsituationen können sich über einen längeren Zeitraum hinziehen. Damit der Mobbing - Verlauf im Nachhinein immer wieder rekonstruiert werden kann, sollten Sie alle Vorfälle in einem Mobbing – Tagebuch schriftlich festhalten.
Sprechen Sie mit einem Lehrer oder Erzieher dem Sie vertrauen!
Wenn Sie sicher sind, dass Ihr Kind Opfer von Mobbing geworden ist, wenden Sie sich an einen Kindergärtner oder Lehrer, dem Sie vertrauen. Es kann auch der Direktor der Schule oder der Leiter des Kindergartens sein. Bereiten Sie das Gespräch sorgfältig vor. Überlegen Sie vorher, was Sie von dem Lehrer oder dem Kindergärtner erwarten. Versuchen Sie Schuldzuweisungen zu vermeiden, auch wenn es Ihnen schwer fällt. Versuchen Sie nach Möglichkeit sachlich zu bleiben. Seien Sie jedoch darauf vorbereitet, dass solche Gespräche bei Lehrern und Kindergärtnern auf Ablehnung stoßen können, da Sie diese in konkreten Zugzwang bringen. Mobbing muss seitens der Schule sofort unterbunden werden. Sollte der Lehrer oder Kindergärtner nicht handeln und Ihr Kind weiterhin gemobbt werden, können Sie mit Unterstützung eines Anwalts eine Dienstaufsichtsbeschwerde anstrengen. Der Kindergarten und die Schule sind gesetzlich dazu verpflichtet das Wohl der ihnen anvertrauten Kinder zu schützen.
Emotions-Coaching – wie kann ich meinem Kind helfen, mit seinen Gefühlen umzugehen?
Obwohl Eltern ihre Kinder lieben und nur das Beste für sie wollen, ist es für sie manchmal gar nicht so leicht, einen kühlen Kopf zu bewahren, wenn ihre Kinder außer Rand und Band geraten. Wie können Eltern auch in gefühlsgeladenen Momenten ihren Kindern nahe sein und ihnen helfen, mit Gefühlen umzugehen?
1. Eltern erzählen
„Meine Tochter Isabella (12 J.) schrie neulich „Ich geh morgen nicht in die Schule!!!“. Mir war sofort klar, was los ist. „Wahrscheinlich schreibt ihr heute eine Matheprobe und gestern wolltest du nicht mit mir üben. Das hast du nun davon. Du wirst sicher wieder eine Fünf schreiben!“. Meine Tochter schaute mich ganz komisch an und schrie zurück: „Wir werden gar keine Probe schreiben! Es geht gar nicht darum! Aber du verstehst mich sowieso nicht! Du bist so gemein!!“ Daraufhin verschwand sie in ihrem Zimmer, nicht ohne vorher die Tür zuzuknallen. Wieso hat sie mich nur so gekränkt?“
Carolina A. (32 J.)
„Vor kurzem hörte ich aus dem Wohnzimmer ein lautes Scheppern. Als ich zum Nachsehen kam, saß mein Sohn Martin (7 J.) mit von Tränen gefüllten Augen auf dem Teppichboden neben unserer in zwei Teile zerbrochenen Vase. Da der ganze Tag schon so furchtbar stressig war und ich keine ruhige Sekunde für mich hatte, konnte ich mich gar nicht beherrschen. Ich habe meinen Sohn angeschrieen und ihm Vorwürfe gemacht. Ich war so unglaublich wütend. Dabei hat er es gar nicht absichtlich getan.“
Peter H. (31 J.)
Der nachfolgende Text entstand in der Anlehnung an das erfolgreiche Buch von Frau Dr. Graf in Zusammenarbeit mit Frau Prof. Dr. Walper: Familienteam – das Miteinander stärken. Das Geheimnis glücklichen Zusammenlebens. Frau Prof. Dr. Walper steht Ihnen bei Fragen zu unserem Monatsthema „Emotions-Coaching“ zur Verfügung.
2. Was bedeutet Emotions-Coaching?
Was tun, wenn Ihr Kind ängstlich wegen eines Gedichtvortrags oder wütend auf den Schulkameraden ist – und all das nichts mit Ihnen zu tun hat? Wenn Sie ihm in solchen Situationen beistehen, dann handeln Sie bereits nach den Regeln des Emotions-Coaching, was bedeutet, dass Sie die Gefühle Ihres Kindes wahrnehmen, akzeptieren und diese nachzuvollziehen versuchen. So helfen Sie Ihrem Kind nicht nur mit seinen Gefühlen richtig umzugehen. Im besten Fall lernen Kinder in schwierigen und emotional explosiven Situationen, ihre Emotionen zu regulieren und angemessene Lösungen zu entwickeln. Denn Eltern, die auf ihr Kind im Sinne des Emotions-Coachings eingehen, ermöglichen ihrem Kind Gefühle, Gedanken und Sorgen mitzuteilen. Doch gerade wenn sich die unangenehmen Gefühle des Kindes auf die Eltern selbst beziehen, stellt dies eine besondere Herausforderung dar.
3. Erziehungsalltag
In vielen Familien führen kleine Missverständnisse zu den größten Auseinandersetzungen, weil Eltern auf die Gefühlsäußerungen ihres Kindes nicht angemessen reagieren. Vor dem Hintergrund eines stressigen Alltags und der häufig bestehenden Zeitnot, ist dies verständlich. So haben sich im Laufe der Zeit viele Patentrezepte für den Umgang mit familiär brenzligen Situationen in den Erziehungsalltag eingeschlichen. Die Patentrezepte heißen von „Trösten“ und „Problem klein reden“, über „Ablenken“ oder „Kritisieren“ bis hin zu „Bestrafen“. Diese Patenrezepte werden angewendet, ohne herausgefunden zu haben, was das Kind eigentlich für ein Problem hat. Leider helfen sie meistens bei individuellen Problemen des Kindes nicht. Vielmehr fühlt sich Ihr Kind unverstanden und wird noch wütender oder ängstlicher. Dabei sind gerade Kinder auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen, denn sie wissen nicht, wie sie mit ihren intensiven, oft unangenehmen Gefühlen umgehen sollen. Was Sie tun können, um Ihrem Kind zu helfen, mit seinen Gefühle umzugehen, erfahren Sie im nächsten Kapitel.
4. Neue Wege gehen
Kinder verstehen lernen
Beispiel 1 im ersten Teil
Vergeben Sie nicht die Chance, Einblick in die Welt Ihres Kindes zu erhalten!
Wie den meisten Eltern liegt der Schulerfolg ihrer Tochter Isabella, Carolina sehr am Herzen. Das Stichwort Schule hat wie per Knopfdruck die Sorgen um Isabellas Zukunft aktiviert. Aus diesem Blickwinkel heraus fühlt sich die Mutter durch jede Aussage ihrer Tochter in der Zukunftssorge bestätigt und vergibt dadurch die Chance, Einblick in die Welt ihrer Tochter zu erhalten. Für Isabella bedeutet dies, künftig ihre Sorgen für sich zu behalten, um nicht mit ungerechten Vorwürfen konfrontiert zu werden.
Seien Sie achtsam!
Wenn Carolina ihre Tochter verstehen will und sie sich ihr öffnen soll, sollte sich die Mutter zunächst in die Lage ihrer Tochter hineinversetzen. Es ist schwierig, aber nicht unmöglich, gerade bei einer hitzigen Diskussion innezuhalten und sich immer wieder die Grundhaltung der Achtsamkeit und Aufmerksamkeit seinem Kind gegenüber in Erinnerung zu rufen. Sätze wie „Ich bin auf deiner Seite.“ untermalen die Haltung.
Geben Sie die Situation wieder!
Als Nächstes könnte Carolina Anteilnahme zeigen und ihrer Tochter helfen, ihren Gefühlen einen Namen zu geben, wie z.B. „Du bist jetzt wütend und aufgebracht.“. So fühlt sich Isabella verstanden und kann sich Schritt für Schritt öffnen.
Offene Fragen helfen weiter
Mit der offenen Frage „Was ist denn passiert?“ überlegen Carolina und Isabella gemeinsam, warum Isabella nicht in die Schule gehen will. Auf einmal wird alles klar: Isabella hatte einen Streit mit ihrer Freundin Verena. Mit gezielten Verständnisfragen „Warst du sehr wütend oder nur ein bisschen?“ ermitteln beide die Stärke Isabellas Gefühle.
„Lass uns zusammen überlegen, wie es jetzt weitergehen kann!“
Zur Lösungssuche ermuntert Carolina Isabella mit „Lass uns zusammen überlegen, wie es jetzt weitergehen kann. Was hast Du denn für Ideen?“. Dabei vergisst Carolina nicht alle Ideen Isabellas zu respektieren auch wenn sie ihr nicht als die beste Lösung erscheinen. Mit Fragen „Und wie wäre das dann?“ hilft Carolina Isabella die Folgen und Auswirkungen ihrer Lösungsvorschläge selbst zu überprüfen.
Sich selbst beobachten
Beispiel 2 im ersten Teil
Peter versetzt sich in die Lage seines Sohnes
Wir begeben uns mitten in die Situation, bevor es zum Eklat kommt: Die Vase ist kaputt und Martin sitzt weinend auf dem Boden. Wenn der Vater nun innehalten und nicht gleich schimpfen würde, könnte die Situation folgendermaßen verlaufen:
„Ich werde dich nicht schimpfen“
Peter drückt den inneren Pausenknopf und überlegt sich: Wie fühlt sich jetzt mein Sohn? Er versetzt sich in die Lage seines Sohnes und denkt: Wahrscheinlich ist Martin unglücklich oder verzweifelt. Vielleicht hat er Angst, dass ich ihn schimpfe. Peter drückt seine Anteilnahme aus und richtet sich an Martin „Du bist sicher unglücklich, weil die Vase kaputt gegangen ist.“. Martin antwortet schluchzend „Ich habe nur ein bisschen getanzt. Und dann ist die Vase runter gefallen. Ich wollte sie nicht kaputt machen.“. Peter wiederholt in seinen eigenen Worten, was geschehen ist. Danach sagt er, dass es zwar traurig sei, dass die Vase kaputt ist, er aber nicht schimpfen werde. Ungläubiges Staunen und ein Funken Hoffnung erhellen das Gesicht des Jungen. Mit der Frage „Was wäre dir jetzt am liebsten?“ leitet der Vater über zur Problemlösung. „Dass die Vase wieder heil ist!“ sagt Martin. „Und was kannst du da tun?“ fragt sein Vater. Nach ein paar unrealistischen Lösungsvorschlägen sagt Martin „Ich könnte versuchen die zwei Teile der Vase wieder zusammenzukleben! Aber alleine mag ich nicht, Papa. Hilfst du mir Papa? “.
5. Lösungsvorschläge
Rufen Sie sich die Grundhaltung in Erinnerung!
Wenn Sie Ihrem Kind vermitteln, dass Sie auf seiner Seite stehen und ihm helfen wollen, dann lösen sich seine Wut und sein Zorn ganz schnell im Nichts auf. Ihr Kind kann beginnen, sich mit klarem Kopf dem eigentlichen Problem zuzuwenden. Vergessen Sie aber nicht, dass ohne den aufrichtigen Wunsch, Ihr Kind ernst zu nehmen und es verstehen zu wollen, alle Vorschläge nicht funktionieren. Sie wären dann nur Mittel zum Zweck. Und Kinder spüren das sofort.
Fünf Ratschläge für eine echte Anteilnahme
- Alle Gefühle Ihres Kindes sind wichtig und können von Ihnen akzeptiert werden.
- Bitte fragen Sie sich immer wieder selbst: Wie würde es mir an der Stelle meines Kindes gehen?
- Lassen Sie sich Zeit, um das selbst nachzuempfinden.
- Lassen Sie Ihrem Kind Zeit, seine Gedanken und Gefühle zu sortieren.
- Trauen Sie Ihrem Kind zu, Probleme selbst lösen zu können.
Seien Sie aufmerksam!
Angenommen Sie sind mit Hausarbeit beschäftigt. Plötzlich kommt Ihr Kind und möchte Ihnen dringend etwas erzählen. Sie haben nun die Möglichkeit, weiter zu arbeiten, ohne auf Ihr Kind zu achten. Doch Kinder brauchen die volle Aufmerksamkeit ihrer Eltern: Unterbrechen Sie Ihre Tätigkeit und wenden Sie sich Ihrem Kind zu. Fragen Sie sich: Wie nahe braucht mich mein Kind jetzt? Ihre Achtsamkeit wird Ihrem Kind zeigen, dass Sie seine Sorgen und seinen Kummer ernst nehmen. Erkennen Sie die Gefühle Ihres Kindes an und benennen Sie diese! Wenn Sie Ihrem Kind helfen, seine Gefühle zu benennen, werden sich seine bedrohlichen, zornigen oder Angst machenden Gefühle in fassbare Gefühle verwandeln. So werden sie zu einem ganz normalen Teil des Alltags. Um dies zu erreichen, müssen Sie die Gefühle Ihres Kindes in Worte fassen. Machen Sie dabei Vorschläge, d.h. Sätze in Aussage-Form „Wahrscheinlich hast du Angst gehabt.“. Falls Sie daneben liegen, werden Sie sicherlich von Ihrem Kind korrigiert. Wenn Ihr Kind das Gefühl selbst benennt „Ich war so sauer“, wiederholen Sie das Wort, das Ihr Kind für sein Gefühl benutzt hat „Ich verstehe - du warst sauer.“ Damit signalisieren Sie ihm, dass Sie sich in seine Lage versetzt haben und das Gefühl durchaus nachvollziehen können. Wahrscheinlich wird es Ihnen anfangs schwer fallen, im Gespräch echt zu klingen. Doch je mehr Sie üben, desto selbstsicherer werden Sie. Ein guter Tipp für mehr Echtheit im sprachlichen Ausdruck: Verwenden Sie Ihre Körpersprache und modellieren Sie Ihren Tonfall. Helfen Sie Ihrem Kind selbst eine Lösung zu finden! So sehr Ihnen die zündende Lösung des Problems auf den Lippen brennt: Versuchen Sie sich zurückzuhalten. Ihr Kind soll lernen, unabhängig und selbstständig zu denken. Doch wie helfen Sie ihm, die Lösung selbst zu finden?
Hier ein paar praktische Tipps:
- Ermuntern Sie Ihr Kind, Ideen zur Lösung des Problems zu sammeln „Lass uns zusammen überlegen, wie es jetzt weitergehen kann. Was hast du denn für Ideen?“.
- Ihr Kind braucht zunächst eine Vision von dem, was es erreichen will. Fragen Sie es nach seinem Ziel „Was wäre Dir jetzt am liebsten?“ Diese Frage lässt alles offen und gibt dem Kind Raum, sich eigenen Gedanken zu machen.
Oft fällt Kindern erst einmal eine ganz unmögliche Idee für das Problem ein. Auch wenn der Lösungsvorschlag unrealistisch ist, können Sie ruhig auf die Wunscherfüllung in der Phantasie eingehen. Mit Fragen nach den Auswirkungen der unrealistischen Ideen „Wie wäre das dann?“ kommen Sie dann Stück für Stück einer realistischen Lösung näher. Falls Ihr Kind bei der Ideesuche nicht mehr weiterkommt, obwohl es genug Raum für Ideen hatte, empfiehlt es sich ganz vorsichtig eigene Ideen mit Sätzen wie „Wie wäre es, wenn du….“ oder „Ich könnte mir vorstellen, dass…“ einzubringen.